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Seite:HansBrassTagebuch 1945-05-14 002.jpg

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entwickelt ein gewaltiges Interesse am Wohl unserer Gemeinde, – ein Interesse das bestimmt nicht ohne Eigennutz ist. Er bemüht sich sehr, zu beweisen, daß er nie Nazi war.

     Der alte Papenhagen ist gestern Abend erst aus dem Darss zurückgekommen. Die Russen haben ihn nach Ibenhorst geholt, wo er Reparaturarbeiten an Wagen u. Geräten machen muß. Sie bauen dort behelfsmäßige Unterkünfte u. es scheint so, als ob dort eine stärkere Abteilung läge. Es ist sehr sonderbar, daß die Russen die ganzen Fischlanddörfer so stark belegen u. sich im ganzen Darss bis Prerow u. Zingst festgesetzt haben, während Ahrenshoop völlig frei von Truppen ist. Auch am Tage sieht man verhältnismäßig wenig Soldaten durch das Dorf gehen, das Plündern hat fast ganz aufgehört, nur Nachts kommen immer einige Soldaten her, schlagen gegen Haustüren u. begehren Einlaß auf der Suche nach jungen Frauen u. Mädchen. Dennoch bleibt immer die Sorge über uns schweben, daß sie auch bei uns Häuser beschlagnahmen u. mit Soldaten belegen.

     Sehr unanständig fand ich gestern die Frau des Oberlt. Meyer, die den Unfall von Dr. Krappmann als beabsichtigt hinstellte, um sich auf diese Weise vor den Russen in Sicherheit zu bringen. Wenn es der Fall wäre, was ja immerhin möglich ist, dann wäre das sehr geschickt gemacht worden, aber man könnte ihm nicht den geringsten Vorwurf daraus machen. Er war ja nicht Chef der Batterie, sondern nur Kursusleiter u. wenn er sich der russischen Gefangenschaft entziehen konnte, dann wäre er dumm gewesen, es nicht zu tun. Er hatte keine Verpflichtung, bei der Batterie zu bleiben. Frau Meyer aber machte ihre Bemerkungen so, daß man daraus ein abfälliges Urteil entnehmen mußte. Herr Oberlt. Meyer hat sich ja bisher selbst der russ. Gefangenschaft entzogen, indem er sich in Civil im Hause Smith verborgen gehalten hat. Um das Schicksal der Mannschaften hat sich ja keiner dieser Herren gekümmert. Keiner der Soldaten hat gewußt, wo ihre Vorgesetzten geblieben waren. Ebensowenig hat sich die Frau Meyer um die Nachrichten-Helferinnen weiter gekümmert. Alle diese Mädchen sind einzeln unter dem unzulänglichen Schutz einzelner Soldaten auf die Wanderschaft gegangen, was aus ihnen geworden ist, weiß niemand.

     3 Uhr nachm. Heute Vormittag brachte ich die letzten Dahlien-Knollen in die Erde. Ich habe sie diesmal alle ohne Komposterde eingepflanzt, sie werden dürftig werden, aber wenigstens verfaulen die Knollen nicht im Keller.

     In der Nacht sind Flüchtlinge wieder im Geschäft von Reichert-Saatmann gewesen u. haben noch von dem herausgeschleppt, was noch da war. Es sollen hauptsächlich die Leute gewesen sein, die im Haus am Meer untergebracht sind u. die wirklich übelster Pöbel sind. Seit heute Vormittag steht nun bei Saatmann alles an, was stehen kann, denn er verkauft nun die Reste. Eben kommt Herr Borchers, der für uns mit angestanden hat, u. bringt, was er bekommen hat: Zucker, Erbsen, Gries.

     Susi Lappe hat Martha erzählt, daß ihre Verwandten aus Born gestern mit einem Boot von dort herübergekommen seien. Sie haben gesagt, daß in Born kein einziger russischer Soldat sei. Es ist wirklich merkwürdig, wo doch Ibenhorst voll Soldaten ist. Herr Gerdes, der freilich viel schwätzt, wollte heute bestimmt wissen, daß die Russen bald abziehen. Ich glaube es nicht.

     Paul ist heute zum ersten Male in der Gemeinde

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Hans Brass: TBHB 1945-05-14. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-14_002.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2024)