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Seite:HansBrassTagebuch 1945-05-20 001.jpg

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noch vor 14 Tagen immer so laut „Heil Hitler“ geschrieen haben, jetzt am lautesten schimpfen. Frau Booth behauptete, niemals Nazionalsozialistin gewesen zu sein, sie wäre auch nicht in der Partei gewesen. Ich fragte, warum sie denn dann immer so laut „Heil Hitler“ gerufen hätte? Sie sagte, das hätte sie nur aus lauter Angst getan. – So ist dieses Gesindel.

     Paul berichtete heute aus der Gemeinde, wo er sich langsam unentbehrlich macht, daß von nun an des Nachts eine Militärstreife ginge, die Plünderungen u. Vergewaltigungen verhindern soll. u. damit diese Militärstreife nicht selber plündert u. vergewaltigt, hat Herr Dr. Hahn die Berechtigung erhalten, des Nachts per Rad oder zu Fuß auf der Straße zu sein u. im Notfalle umgehend den Kommandanten zu benachrichtigen, wenn solche Dinge vorkommen. Es ist also demnach festzustellen, daß bei den Russen wenigstens die Absicht besteht, für Ruhe u. Ordnung zu sorgen. Wie weit das gelingt, wird sich zeigen. Es könnte sein, daß wir mit der Zeit noch froh sein werden, Russen hier zu haben, denn aus den besetzten Westgebieten dringen Gerüchte hierher, wonach die Engländer u. Amerikaner sich in jeder Weise bemühen, das Ehrgefühl der Bevölkerung zu verletzen. Es wird dort vielleicht nicht geklaut u. vergewaltigt, aber die Reitpeitsche soll eine große Rolle spielen. Auch im Rundfunk wird von den Engländern eine große Propaganda entfaltet, um das ganze deutsche Volk zu diffamieren. Wenn die Russen klug sind, dann können sie sich jetzt in Deutschland leicht Freunde werben.

Pfingstsonntag, 20. Mai 1945.     

     Unsere Andacht war heute wieder stark besucht, auch von Protestanten. Es war sehr schön u. erhebend, zum Schluß sangen wir mit Begeisterung „Lobt froh den Herrn“. – Gleich nach Ende der Andacht hieß es, daß das „Haus am Meer“ brenne. In diesem Hause wohnen die schlimmsten Flüchtlinge aus Stettin, richtiges Hafen=Proletariat, von denen es heißt, daß sie in vielen Fällen die Russen zum Plündern aufgehetzt haben, die selbst das Kaffee Namenlos ausgeplündert u. demoliert haben u. die auch bei der Plünderung von Reichert-Saatmann vorwiegend beteiligt waren. Nun geht zum Schluß noch das Haus in Flammen auf, was ja zum Pfingstfest ganz passend ist. Die Leute haben das Feuer des Hl. Geistes nicht aufgenommen, so brennt das Haus nieder.

     Paul sagte mir gestern, daß es allgemeine Ansicht sei, daß sich lt. Wehrmachtsbefehl Nr. 1. jeder melden müsse, der noch nicht genau 60 Jahre alt sei. So ging ich denn auch hin, mich registrieren zu lassen. – Heute Nachm. müssen die Rundfunk-Geräte abgegeben werden. Paul meint, daß dieselben nur in der Gemeinde aufgehoben werden u. man sie später zurückbekäme. Wir werden also unsere Apparate auch abgeben, da ein Verbergen derselben uns selbst zu unsicher machen würde.

     Das Feuerhorn tutet draußen, es sind aber genug Leute dort, sodaß es nicht nötig ist, auch noch hinzugehen.

     Die Nacht scheint wieder ruhig gewesen zu sein, es ist zu hoffen, daß langsam eine Beruhigung eintritt.

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1945-05-19. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-20_001.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2024)