TBHB 1945-05-19
Einführung
Der Artikel TBHB 1945-05-19 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 19. Mai 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Gestern Abend kam Agnes Borchers u. ihr Mann. Sie war schrecklich aufgeregt, was sie ja immer ist, u. berichtete, daß ihr Schwager Fritz Peters aus Wustrow verhaftet sei und nach Althagen zu Bendix gebracht worden wäre, wo er streng bewacht würde. Außer ihm sollen auch noch viele andere Wustrower, die eine Rolle in der Partei gespielt haben, verhaftet worden sein. Jetzt behauptet Agnes plötzlich, Peters wäre nie Nazi gewesen; aber in der Tat ist er ja immer sonntags mit seinem Patrei-Abzeichen herumgelaufen u. bei näherer Nachfrage stellt sich heraus, daß er sogar das Amt hatte, die Mitglieds-Beiträge einzusammeln. – Ich beruhigte aber Agnes damit, daß die Russen eben ganz natürlich alle Nazis zunächst einmal sicher stellen wollen u. daß garkein Grund zur Besorgnis vorliegt. – Sie wollte weiter wissen, daß gestern Abend bei den Russen ein großes Fest stattfünde. Wir waren deshalb wirklich in Sorge, weil wir Betrunkene in der Nacht befürchteten. Paul schlief deshalb in Kleidern, ich selbst blieb bis nach 12 Uhr auf, legte mich dann aber schlafen, da alles ruhig war. Wie sich heute morgen herausstellte, war an der ganze Geschichte nichts Wahres. Schließlich berichtete sie noch, daß an der Gemeindetafel angeschlagen sei, daß sich heute alle Männer zwischen 17 – 60 Jahren zu melden hätten u. daß morgen alle Radio-Geräte abzuliefern seien.
Heute Morgen kam Trude wieder. Sie hatte gestern gesehen, daß vier Wustrower Männer unter russ. Bewachung nach Althagen gebracht worden seien, unter ihnen sei auch Fritz Peters gewesen. Diese Männer sind im Hause Bendix interniert worden u. sie werden in dem Gelände der Batterie mit Erdarbeiten beschäftigt. Alle vier waren ehemalige Nazis. Die Sache ist also vollkommen in Ordnung. Die Russen benötigen Arbeiter, wahrscheinlich zum Latrinenbau u. ähnlichem, u. sie holen sich dazu ehemalige Nazis. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Wir nehmen die Tatsache, daß sich die Männer heute melden müssen, zum Anlaß, um die Einladung zu Gretel Neumanns Geburtstag abzusagen. Wenn ich mich selbst auch nicht zu melden brauche, da ich annehme, daß man mich zu den 60-jährigen rechnen wird, obwohl noch 6 Wochen daran fehlen, so muß sich doch Bachmann melden u. da wird die Stimmung nicht sehr gut sein.
4 Uhr nachm. War Vormittags an der Gemeindetafel, um mir den Anschlag anzusehen. Er nennt sich „Wehrmachts-Befehl Nr. 1.“ u. geht vom Befehlshaber in Ribnitz aus. Er ist ziemlich umfangreich. Wesentlich ist neben der Meldung der Männer zwischen 18 – 60 Jahren, daß Waffen u. Radiogeräte abzuliefern sind u. daß alle Arbeiter u. Geschäftsleute sofort ihre bisherige Arbeit wieder aufzunehmen haben. – Es standen dort natürlich viele Leute, darunter auch Frau Booth, die sich am meisten dafür interessierte, ob sie sich auch melden müsse, da alle Leute der SS u. SA, der NSKK. des SD u. der Polizei, auch der HJ u. BdM u. der Frauenschaft sich zu melden haben. Die NSV war aber zur großen Erleichterung von Frau Booth nicht dabei. Frau Booth fing nun an, auf den Führer zu schimpfen. Ich drehte mich um u. sprach vor allen Anwesenden meine Verwunderung aus, daß jetzt diejenigen, die [2] noch vor 14 Tagen immer so laut „Heil Hitler“ geschrieen haben, jetzt am lautesten schimpfen. Frau Booth behauptete, niemals Nazionalsozialistin gewesen zu sein, sie wäre auch nicht in der Partei gewesen. Ich fragte, warum sie denn dann immer so laut „Heil Hitler“ gerufen hätte? Sie sagte, das hätte sie nur aus lauter Angst getan. – So ist dieses Gesindel.
Paul berichtete heute aus der Gemeinde, wo er sich langsam unentbehrlich macht, daß von nun an des Nachts eine Militärstreife ginge, die Plünderungen u. Vergewaltigungen verhindern soll. u. damit diese Militärstreife nicht selber plündert u. vergewaltigt, hat Herr Dr. Hahn die Berechtigung erhalten, des Nachts per Rad oder zu Fuß auf der Straße zu sein u. im Notfalle umgehend den Kommandanten zu benachrichtigen, wenn solche Dinge vorkommen. Es ist also demnach festzustellen, daß bei den Russen wenigstens die Absicht besteht, für Ruhe u. Ordnung zu sorgen. Wie weit das gelingt, wird sich zeigen. Es könnte sein, daß wir mit der Zeit noch froh sein werden, Russen hier zu haben, denn aus den besetzten Westgebieten dringen Gerüchte hierher, wonach die Engländer u. Amerikaner sich in jeder Weise bemühen, das Ehrgefühl der Bevölkerung zu verletzen. Es wird dort vielleicht nicht geklaut u. vergewaltigt, aber die Reitpeitsche soll eine große Rolle spielen. Auch im Rundfunk wird von den Engländern eine große Propaganda entfaltet, um das ganze deutsche Volk zu diffamieren. Wenn die Russen klug sind, dann können sie sich jetzt in Deutschland leicht Freunde werben.