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Seite:HansBrassTagebuch 1945-05-23 001.jpg

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bei den Russen offenbar keinerlei Ehrenbezeugungen Untergebener vor den Vorgesetzten, der Verkehr ist vollkommen zwanglos in einer Weise, wie es für uns Westländer kaum vorstellbar ist. Alle unsere durch Jahrhunderte lange Kultur des gesellschaftlichen Verkehrs geschaffenen u. entstandenen Umgangsformen existieren einfach nicht. Damit fällt aller gesellschaftl. Zwang, alle Konvention u. alle Höflichkeitsform einfach weg, es ist eine erstaunliche Freiheit zwischen diesen Menschen.

     Der Major wünschte also, wie sich nun herausstellte, Bilder von Stalin, Lenin u. a. großen Persönlichkeiten des Bolschewismus. Es dauerte etwas, bis ich begriff, daß er einfache Plakate haben wollte u. keine künstlerischen Portaits. Ich sagte ihm, daß ich ihm die Bilder machen wollte, wenn er mir die Leinewand dazu lieferte. Er fragte nach dem Preis. Ich sagte, ich wollte kein Geld, sondern Lebensmittel. Er schien Bedenken zu haben u. fragte, wie groß meine Familie sei. Wie er hörte, daß diese nur aus meiner Frau u. mir bestünde, wurde er zugänglicher. Er versicherte mir, daß in wenigen Tagen die Lebensmittel-Zufuhr funktionieren würde u. daß ich dann mit dem Alliierten Gelde alles kaufen könne; aber dennoch würde er mich mit Lebensmitteln versorgen. So wurden wir denn handelseinig. Er versprach mir, bis heute Nachmittag 4 Uhr weiße Leinewand zu schicken. Ich stand dann auf u. reichte ihm die Hand, die er mir in dieser zwanglosen Art gab, ohne Lächeln u. ohne Verbindlichkeit, aber offensichtlich auch ohne irgend einen Hintergedanken.

     Ich ging dann mit Herrn Rüdiger u. dem freundlichen Oberleutant wieder zurück, der sich bei Oehmke von uns trennte. Er erzählte uns, daß bei Oehmke ein Offiziers= u. Soldatenheim eingerichtet würde. Ich fragte ihn, ob das Gerücht mit der deutschen Regierung stimmte u. er bestätigte es. – Das wäre dann immerhin ein wesentlicher Schritt vorwärts.

     Als ich in Althagen war, wurde grade ausgeklingelt, daß künftig die weiße Beflaggung von Häusern ebenso verboten sei, wie die rote. Zur Beflaggung dürfe nur Schwarz-weiß-rot verwendet werden. Ich sah dann, daß derselbe Befehl auch bei uns am Schwarzen Brett hing. Das ist zweifellos eine kluge Maßnahme.

Mittwoch, 23. Mai 1945.     

     Gestern Abend kam der Oberleutnant mit Herrn Rüdiger wieder. Er brachte weisse Leinewand, dazu eine Zeitschrift mit dem Bilde Stalins u. einen kleinen Kalender mit Lenins Bild. Er hatte einen kleinen Koffer bei sich, dem er ein Stück Brot u. Tabak entnahm gewissermaßen als Anzahlung. Es ergab sich, daß ich je zweimal Stalin u. Lenin malen sollte, 80x100 cm. groß, u. zwar nur schwarz = weiß.

     Später kam Ilse Schuster mit der Nachricht, daß Deutschmann verhaftet worden sei u. bei Bendix in Althagen interniert sei. Wir ratschlagten, ob da etwas zu machen sei. Ich hielt es für zwecklos, da die Russen nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, sich in ihre Sachen nicht reinreden lassen. Martha ging aber dennoch zu Dr. Ziel, der dann aber derselben Ansicht war, wie ich. Es wird ja Deutschmann auch nichts weiter passieren, als daß er irgendwo in ein Konzentrationslager kommt zur Arbeit, wie sie es anscheinend mit allen Nazis machen, die irgend eine Funktion ausgeführt haben.

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1945-05-22. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-23_001.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2024)