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TBHB 1945-05-22

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-05-22
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Dienstag, 22 Mai 1945.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 22. Mai 1945
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Einführung

Der Artikel TBHB 1945-05-22 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 22. Mai 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Dienstag, 22 Mai 1945.     

[1]      Gestern Nachmittag verbrachten wir einige besonders schöne Stunden bei Frau Longard. Die alte Dame war wieder sehr angeregt, wenn auch voll Sorge, die sie aber nicht hinderte, uns trefflich zu unterhalten.

     Wir waren kaum dort, als Paul nachkam u. berichtete, daß ein russ. Oberleutnant dagewesen sei, um Schreibwaren einzukaufen. Er war mit einem Dolmetscher gekommen u. war sehr höflich. Er wollte in einer halben Stunde wiederkommen. Martha ging zurück, aber der Oberleutnant kam nicht u. so kam sie wieder zu uns. Als wir dann Abends nachhause kamen, meinte Grete, die ja immer voll furchtsamen Mißtrauens ist gegen alles, was russisch ist, daß das Begehren des Oberleutnants nach Schreibwaren wohl nur eine Finte gewesen sei, er habe sicher irgend welche anderen bösartigen Absichten gehabt. Ich verwies ihr dieses Mißtrauen, das nur geeignet ist, Gefahren heraufzubeschwören, die sonst garnicht vorliegen.

     In unserer Abwesenheit war Herr Rechtsanwalt Hoffmann dagewesen, uns einen Besuch zu machen. Er ist der Verbindungsmann zwischen den russischen Militär= u. den deutschen Gemeinde-Behörden in Wustrow, Althagen u. Ahrenshoop u. macht sich als solcher sehr nützlich. Er hat die Nachricht mitgebracht, daß eine Art deutscher Regierung gebildet worden wäre mit Rudolf Hess an der Spitze, ferner mit dem bisherigen Finanzminister Graf Schwerin=Krosigk u. Generalfeldmarschall Paulus. Ich wollte es nicht glauben. Wenn es so wäre, dann wäre ja tatsächlich einmal etwas buchstäblich in Erfüllung gegangen, was Hitler im Jahre 1939 vorausgesagt hat, indem er verkündete: „Wenn mir in diesem Kriege etwas zustoßen sollte, ernenne ich Rudolf Hess zu meinem Nachfolger“. Nun, es ist ihm etwas zugestoßen u. Hess ist sein Nachfolger – wenn es stimmt!

     Heute morgen –, wir waren eben mit dem Frühstück fertig –, kam Paul herauf u. sagte, der Oberleutnant sei wieder da. Ich ging gleich mit Martha runter u. trafen vor dem kleinen Hause einen etwa 35jähr. Mann, überaus primitiv, aber freundlich u. herzlich. Er hatte sich wieder Herrn Rüdiger mitgebracht als Dolmetscher, der bei Gräff wohnt u. aus Bialystock ist, wo er angeblich eine Tuchfabrik u. Landbesitz gehabt hat. Er war bei der deutschen Wehrmacht dienstverpflichtet gewesen u. ist mit ihr zurückgegangen. Seine Frau u. die Kinder sind in Dessau oder jedenfalls in jener Gegend. Das letzte, was er von ihnen gehört hat, war ein Telegramm nach einem Luftangriff, er solle sofort kommen, Personenschaden. Seitdem weiß er nichts mehr. – Das sind so Schicksale, wie sie tausendfach sind.

     Nun, wir gingen also in die Bunte Stube u. Herr Rüdiger verdolmetschte, daß der Oberleutnant wüßte, daß ich Maler wäre u. ob ich ein Porträt von Stalin machen könne. Ich bejahte es. Er kaufte dann allerhand Kleinigkeiten ein u. bezahlte mit Markscheinen der alliierten Militärbehörde, die ich zum ersten Male sah. Dann bat er mich, mit zum Kommandanten in der Batterie zu kommen.

     In der Batterie sah es sehr sauber u. ordentlich aus. Ich mußte mit Herrn Rüdiger draußen warten, dann kam der Oberleutnant bald zurück u. rief uns. Wir gingen in eine Baracke in ein einfaches, völlig schmuckloses Dienstzimmer, in dem wir den Kommandanten, einen Major, fanden. Der Mann war höflich, jedoch ohne jedes Lächeln. Es gibt [2] bei den Russen offenbar keinerlei Ehrenbezeugungen Untergebener vor den Vorgesetzten, der Verkehr ist vollkommen zwanglos in einer Weise, wie es für uns Westländer kaum vorstellbar ist. Alle unsere durch Jahrhunderte lange Kultur des gesellschaftlichen Verkehrs geschaffenen u. entstandenen Umgangsformen existieren einfach nicht. Damit fällt aller gesellschaftl. Zwang, alle Konvention u. alle Höflichkeitsform einfach weg, es ist eine erstaunliche Freiheit zwischen diesen Menschen.

     Der Major wünschte also, wie sich nun herausstellte, Bilder von Stalin, Lenin u. a. großen Persönlichkeiten des Bolschewismus. Es dauerte etwas, bis ich begriff, daß er einfache Plakate haben wollte u. keine künstlerischen Portaits. Ich sagte ihm, daß ich ihm die Bilder machen wollte, wenn er mir die Leinewand dazu lieferte. Er fragte nach dem Preis. Ich sagte, ich wollte kein Geld, sondern Lebensmittel. Er schien Bedenken zu haben u. fragte, wie groß meine Familie sei. Wie er hörte, daß diese nur aus meiner Frau u. mir bestünde, wurde er zugänglicher. Er versicherte mir, daß in wenigen Tagen die Lebensmittel-Zufuhr funktionieren würde u. daß ich dann mit dem Alliierten Gelde alles kaufen könne; aber dennoch würde er mich mit Lebensmitteln versorgen. So wurden wir denn handelseinig. Er versprach mir, bis heute Nachmittag 4 Uhr weiße Leinewand zu schicken. Ich stand dann auf u. reichte ihm die Hand, die er mir in dieser zwanglosen Art gab, ohne Lächeln u. ohne Verbindlichkeit, aber offensichtlich auch ohne irgend einen Hintergedanken.

     Ich ging dann mit Herrn Rüdiger u. dem freundlichen Oberleutant wieder zurück, der sich bei Oehmke von uns trennte. Er erzählte uns, daß bei Oehmke ein Offiziers= u. Soldatenheim eingerichtet würde. Ich fragte ihn, ob das Gerücht mit der deutschen Regierung stimmte u. er bestätigte es. – Das wäre dann immerhin ein wesentlicher Schritt vorwärts.

     Als ich in Althagen war, wurde grade ausgeklingelt, daß künftig die weiße Beflaggung von Häusern ebenso verboten sei, wie die rote. Zur Beflaggung dürfe nur Schwarz-weiß-rot verwendet werden. Ich sah dann, daß derselbe Befehl auch bei uns am Schwarzen Brett hing. Das ist zweifellos eine kluge Maßnahme.