Zum Inhalt springen

Seite:HansBrassTagebuch 1945-06-01 001.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wahrhaftig zum verzweifeln u. man weiß nicht, wie man die Bevölkerung durch den Winter bringen soll. Wir werden alle Kühe abschlachten müssen, weil kein Futter da ist. –

     Heute wollen wir, Paul u. ich, die Milchversorgung für die Kleinstkinder regeln u. zusehen, ob die Butterversorgung in Gang gebracht werden kann. Wir haben seit Wochen keine Butter mehr gesehen. Wir müssen uns völlig auf Selbstversorgung einstellen,1 Fehler korr. denn Hilfe von auswärts haben wir nicht zu erwarten.

     Der Pastor Loeber gibt sich große Mühe, die Frau des Kapitänlt. Wegener in unserer Schule unterzubringen. Ich sprach gestern mit Dr. Ziel darüber, bei dem auch Pastor Loeber in dieser Sache gewesen ist. Er hat sich bei ihm beschwert, daß alles schon so gut gegangen wäre, daß aber plötzlich von irgendwo her quer getrieben worden wäre. – Herr Dr. Ziel solle den Schulrat Zelk für Frau Dr. Wegener interessieren. Ziel hat das aber sehr kühl abgelehnt. Ich sehe daraus, daß meine Vorstellungen bei Herrn Zelk nicht ohne Wirkung geblieben sind. Ich hoffe, Deutschmann doch noch halten zu können.

Freitag, 1. Juni 1945.     

     Mit der Milchversorgung sieht es besser aus, als ich erwartet hatte. Die Kleinstkinder sind alle versorgt wir können nun auch den Kindern bis zu 6 Jahren, den werdenden u. stillenden Müttern u. alten + kranken Leuten Milch geben. Nun muß auch noch die Butter= u. Eierversorgung geregelt werden.

     Gestern Besprechung mit Herrn Schulrat Zelk. Ergebnis: Herr Deutschmann wird von Montag ab den Unterricht wieder aufnehmen.

     Die Russen, welche hier ihr Erholungsheim einrichten wollten, sind in vollem Abmarsch. Sie sind gestern schon mit Lastwagen dagewesen u. haben alles wieder aufgepackt, was sie hergebracht haben. Ich habe schon gestern u. vorgestern die Leute, die aus den beschlagnahmten Häusern ausgewiesen waren, wieder einziehen lassen. In der Guten Laune hatten sie eine Entlausungs-Anstalt eingerichtet, das ganze Haus ist wieder frei. Im Kaffee Namenlos sind viele Matratzen u. Betten aus dem Kurhause, hoffentlich lassen sich diese Sachen noch sicherstellen. Auch die Russen in der Batterie sind im Aufbruch, teilweise sind sie schon fort. Die Abreise unserer Flüchtlinge ist gestoppt, da die Straßen von den Russen überfüllt sind. Es heißt, daß sie alle über die Oder zurückgehen. Andere sagen, es bliebe nur eine kleine Besatzung zurück, – oder es käme Marine-Artillerie hierher. Dies scheint mir wohl nur eine Erinnerung an unsere eigene Marine-Artillerie zu sein. Vielleicht wird auch nur eine neutrale Zone zwischen Ost + West geschaffen ohne jede Besatzung, was freilich sehr schlimm wäre, denn dann würden wir keine Machtmittel haben, um die immer mehr hungernde Bevölkerung in Ruhe zu halten. Wieder andere behaupten, daß die Amerikaner oder Engländer herkämen. Niemand weiß Genaues, nur sehen wir, daß die Russen alles mitschleppen, was nicht niet= u. nagelfest ist: Radio-Geräte, Telephon-Apparate, Nähmaschinen, landwirtschaftl. Maschinen, Eggen, Pflüge u. auch Möbel u. Zimmereinrichtungen. Es ist einfach trostlos. Gestern ging ich durch einige von den Russen geräumte

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1945-05-31. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-06-01_001.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2024)