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Seite:HansBrassTagebuch 1945-06-19 001.jpg

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nun rasch vorwärts u. zwei Stunden später war die Leiche auf dem Friedhof bestattet.

     Abends kam Jolly Hartung, geb. König. Sie war von Warnemünde zu Fuß hergekommen, um die Mutter zu sehen. Sie erzählte von ihren recht dramatischen Schicksalen u. von den Zuständen in Warnemünde, die wesentlich besser sind, als bei uns, sowohl in Bezug auf Ernährung, wie auch sonst. Die dortige russ. Besatzung scheint in kultureller Beziehung auf einer höheren Stufe zu stehen, als unsere Kosacken, vor allem hat der Kommandant den Ehrgeiz, ein gebildeter Mann zu sein. In den ersten Tagen des Mai, am 2. Mai, war Jolly in Diedrichshagen zufällig in das Haus des Geflügelzüchters v. Harder geraten u. war dort Zeuge des tragischen Todes dieses Mannes geworden. Er hatte viele polnische Arbeiter u. russ. Kriegsgefangene gehabt, die er schlecht behandelt hatte. Diese hatten ihn den eindringenden Russen angegeben u. er war kurzer Hand von den Russen erschossen worden. – Jolly hatte sich der Vergewaltigung durch einen Sprung aus dem Fenster entzogen, hatte sich dabei den Unterarm gebrochen, war zu Fuß nach Warnemünde u. von dort nach Rostock gegangen in die Klinik. –

     Heute früh wurde ich von Paul mit der Nachricht geweckt, daß die Russen bis 8 Uhr 40 Matratzen verlangten. Herr Dr. Hahn u. Paul haben das Notwendige veranlaßt, ich selbst habe mich bisher nicht darum gekümmert. Weiß der Himmel, wozu die Leute die vielen Matratzen gebrauchen, nachdem sie schon so viele bekommen haben u. am Sonnabend noch das ganze Haus am Meer ausgeräumt haben. Offenbar kommen noch viele neue Kosacken hierher. Das Ostseebad Ribnitz ist nun gestern doch von Zivilpersonen geräumt worden u. mit Kosacken belegt worden, vielleicht gehen die Matratzen dorthin.

     Das Lastwagen-Kommando aus Barth, welches gestern vormittag hier war, hat zwei Autos, die ohne Räder bei Helms standen, aufgeladen u. ist damit abgefahren nach Barth.

Dienstag, 19. Juni 1945.     

     Der gestrige Tag verlief ruhig. Die Russen begnügten sich auch mit 30 Matratzen. Es heißt, daß in die Batterie neu 50 Mann gekommen seien mit zwei Flag-Geschützen u. das wird schon stimmen, denn heute früh sandte Dilwitz aus Althagen einen Boten, daß abermals Bettlaken usw. zu liefern seien u. zwölf Mann zur Arbeit. Ich warte auf den Augenblick, wo wir das Letzte hergegeben haben werden u. nichts mehr besitzen.

     Gestern Abend schickte Dilwitz einen Zettel, der in Althagen ausgeklingelt worden ist, lt. dem jetzt eine regelmäßige Eisenbahn-Verbindung von Ribnitz nach Breslau über Pasewalk – Eberswalde bestehen soll. Außerdem soll der Dampfer jeden Tag um 2 Uhr von Wustrow nach Ribnitz fahren. Ich habe das sofort an der Gemeindetafel bekannt machen lassen u. es ist zu erwarten, daß jetzt ein großer Rückfluß der Flüchtlinge stattfinden wird. Dadurch wird sich dann unsere Ernährungslage wesentlich entspannen, aber wir werden dann auch kein Arbeitskräfte mehr im Dorfe haben.

     Abends war gestern Frau Kahl bei uns u. erzählte den Roman ihres Lebens u. ihre Leiden in den Händen der Gestapo.

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Hans Brass: TBHB 1945-06-18. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-06-19_001.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2024)