Diese Frau, welche so viel Russisch kann, daß sie in der Notgemeinschaft als Dolmetscherin dient, ist von der Gestapo schwer mitgenommen worden, aber sie hat den Sinn ihrer Leiden bisher nicht verstanden. Sie ist katholisch, hat aber ihren Glauben verraten, um einen berliner Herrn zu heiraten, mit dem sie bisher ein recht seichtes Leben geführt hat. Der Mann ist nun aber Soldat u. ist wahrscheinlich in englischer Kriegsgefangenschaft, zuletzt war er in Dänemark. Sie selbst lebt hier mit ihrer sehr alten Mutter, der Witwe eines österreich. Obersten, als Flüchtlingin. Am letzten Sonntag war sie erstmalig bei unserer Andacht zugegen, wobei sie sehr weinte. Die alte Mutter küßte mir nach der Andacht die Hand wie man es zuweilen Priestern tut. Vielleicht will Gott, daß die Frau Kahl durch mich wieder zur Kirche zurückkehrt. Ich werde ihr gelegentlich ins Gewissen reden müssen.
Politisch ist nichts wesentlich Neues zu vermerken. Die Konferenz zwischen Stalin, Churchill u. dem amerikan. Präsidenten wird in Potsdam stattfinden u. neben der Klärung der Polenfrage soll auch die Friedens=Konferenz vorbereitet werden. Wenn diese erst stattgefunden haben wird, werden wir einen großen Schritt vorwärts gekommen sein. Auch die Prozesse gegen die Kriegsverbrecher werden nun bald beginnen, – auch sie werden zur Reinigung der Atmosphäre sehr viel beitragen. – Der Krieg gegen Japan geht mit starken Luftbombardements weiter u. es ist zu hoffen, daß es bald gelungen sein wird, auch dieses Land zu Boden zu zwingen.
Gestern Abend kam wieder das Lastauto aus Barth. Sie hatten am Sonntag die alten Autos bei Helms gesehen, die keine Räder mehr haben u. behaupteten nun, daß die Räder versteckt wären. Die Kerle waren furchtbar grob u. drohten, Frau Helms mit nach Barth nehmen zu wollen, wenn die Räder nicht in einer Viertelstunde da wären. Ich half der Frau nach Kräften, aber die Kerle blieben unbelehrbar, bis sie den Gemeindeschuppen sahen, in dem unsere Lichtmaschine u. a. elektr. Apparate standen. Ich mußte ihnen den Schuppen aufschließen u. nun ging ein großes Räubern los. Sie räumten den Schuppen fast völlig leer u. fuhren um 8 Uhr abends mit voll beladenem Auto davon.
Zur gleichen Zeit wurde ich zum Hause Monheim gerufen. Ich schickte Krull zur Vertretung hin. Später stellte sich heraus, daß das Kosacken-Kommando dort plötzlich abgerufen sei u. die Leute wollten sich bloß von mir verabschieden. Abends um 9 Uhr erschien dann unser Hilfspolizist Herold, der sich in letzter Zeit sehr bedenklich mit den Kosacken angefreundet hat, u. brachte den neuen Kosacken-Häuptling mit, einen ganz jungen Unteroffizier, der aber sehr freundlich war, wenngleich er auch nicht deutsch verstand. Wir holten Frau Kahl zur Verständigung. Der Hilfspolizist Herold übergab mir einen Wisch Papier, auf dem er selbst, angeblich nach dem Diktat des neuen Unteroffiziers, aufgeschrieben hatte, daß er Herold, künftig nur noch für die Russen tätig sein solle. Der Wisch war dann von dem Unteroffizier unterschrieben. Dieser Herr Herold ist nun also als unser Hilfspolizist Spitzel in russ. Diensten u. ich kann
Hans Brass: TBHB 1945-06-19. , 1945, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-06-20_001.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2024)