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Seite:HansBrassTagebuch 1945-06-21 001.jpg

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den Kerl nicht entlassen, wenn ich mir nicht die Russen von ihm auf den Hals hetzen lassen will. Frau Kahl erzählte mir später, daß dieser Bursche, der mit einer Frau Voigt in der Guten Laune ein Verhältnis haben soll, sich seine Spitzeltätigkeit schon seit längerer Zeit sehr gut von den Russen bezahlen läßt.

     Auch gegen den Bäcker Hagedorn sind allerhand Gerüchte im Umlauf. Dieser Kerl fährt, wie ich jetzt höre, täglich mit unserem Lastauto mit, um unterwegs allerhand Schiebergeschäfte zu machen. Mit ihm im Bunde ist der Fahrer des Autos, sowie die ehemaligen Maate Buchholz u. Richter von der Batterie, die mir längst als Schieber bekannt sind. – Aehnliche Gerüchte gehen über Frau Holzerland, die aus dem Darss Holz abfahren läßt, ohne daß man weiß, wo das Holz eigentlich bleibt. Mit ihr im Bunde ist ein althäger Bauer, der sein Gespann dazu stellt u. ebenfalls Holz für sich stiehlt. So sind wir überall umgeben von Schiebern, Dieben u. Halunken, die alles an sich bringen, was die Russen übrig lassen. Es wird bald überhaupt nichts mehr da sein u. man steht dabei u. sieht zu, ohne etwas tun zu können.

     Die Wut der Menschen wird dabei immer größer. Gestern Vormittag wollte in Russe bei einer Frau Niejahr in Althagen einen Spaten haben. Die Frau, welche grade ihre Hecke schnitt, ging mit der Heckenschere auf ihn los u. verletzte ihn. Die Frau wurde flüchtig u. suchte ein Versteck bei uns bei Fischer Meyer, dessen Frau eine Schwester von ihr ist. Die Russen plünderten darauf hin ihr ganzes Haus total aus. Frau Niejahr selbst wurde bei Meyers natürlich bald gefunden u. zur Batterie gebracht. –

     Unser Fritz Paetow, den die GPU schon vor Wochen nach Zingst verschleppt hat, ist ebenfalls seitdem verschwunden. Niemand weiß, wo er geblieben ist.

Donnerstag, 21. Juni 1945.     

     Gestern Mittag brachte Dr. Hoffmann eine Anordnung des Oberbürgermeisters von Rostock, nach der sämtliche Flüchtlinge u. Evakuierten den Landkreis Rostock sofort zu verlassen haben. In Wustrow war diese Anordnung bereits durchgeführt worden, bis Dienstag war dort der Abtransport durchgeführt. Nun geschieht dasselbe hier. Alle haben bis Sonnabend Nachmittag Ahrenshoop zu verlassen. – Diese Maßnahme bedeutet natürlich für viele alte kranke u. schwächliche Leute eine fast unmenschliche Härte, denn Ausnahmen dürfen nur gemacht werden bei offenkundiger Transportunfähigkeit oder wenn ein Flüchtling in einem Betrieb angestellt ist, dessen Weiterbestehen durch einen Abtransport gefährdet wäre. So können wir die Leute behalten, die in der Gemeinde tätig sind u. auch in der Notgemeinschaft. Unsere alten Meyers müssen auch fort, was mir ganz besonders leid tut, u. mit vielen alten Mütterchen ist es nicht anders. Es kann einem das Herz zerreißen. Ich will wenigstens versuchen, Gespanne zu organisieren, die das Gepäck u. die ältesten u. schwächsten Leute nach Wustrow transportieren können. Von dort soll am Sonnabend um 930 Uhr ein Dampfer gehen. Von Ribnitz sollen nach beiden Richtungen Eisenbahnen verkehren, aber das alles ist sehr ungewiß.

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1945-06-20. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-06-21_001.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2024)