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Seite:HansBrassTagebuch 1945-06-29 001.jpg

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Dolmetscher sorgen. Dieser Leutnant ist ein großer u. breitschultriger junger Mann mit ganz klaren Gesichtszügen. Er ist offensichtlich ein ganz einwandfreier u. sehr anständiger Mann von eiserner Energie, aber grade wegen seiner persönlichen Anständigkeit ist er offenbar sehr mißtrauisch. Er ist der Typ des jungen, bolschewistischen Offiziers. Man sieht ihm an, daß er aus der Arbeiterklasse hervorgegangen ist, auf den Handrücken trägt er Tätowierungen, aber sein Gesicht ist sehr intelligent.

     Sodann kam Dr. Hoffmann, den ich in der Hagedornschen Angelegenheit um eine Unterredung gebeten hatte. Ich sagte ihm alles, was ich in Erfahrung gebracht hatte u. erklärte ihm, daß ich nicht in der Lage wäre, mein Amt weiterzuführen, wenn solche Dinge von oben her vorkämen. Er wand sich möglichst vorsichtig aus der Affäre u. sagte mir, daß die beiden Herren von der polit. Polizei die Absicht hätten, heute hierher zu kommen, um unserem Kommandanten klar zu machen, daß ihn die ganze Sache nichts anginge. Ich erwiderte Herrn Dr. H., daß ich unserem Kommandanten dann alles mitteilen würde, was ich wüßte u. daß ich ihm das Weitere überlassen müsse. Herr Dr. H. deutete mir jedoch an, daß der ekelhafte Wustrower Kommandant hinter diesen beiden Leuten stände. Dieser werde heute eine Verfügung herausgeben, nach der alle ehemaligen Parteigenossen, die Selbstversorger mit Fleisch gewesen wären, ihre Fleischvorräte abzuliefern hätten u. künftig Fleisch nur auf Lebensmittel-Karten beziehen dürften. Wenn das Tatsache ist, dann muß Frau Haged., der ich gestern das bei ihr beschlagnahmte Fleisch wieder ausgeliefert habe, ihr Fleisch wieder rausgeben. Es wäre das eine echte Haß=Maßnahme, die sicher häßliche Rückwirkungen haben wird, – u. ernährungsmäßig wäre es nicht einmal ein Gewinn, da dadurch der Kreis derer, die auf Karten versorgt werden müssen, nur noch größer wird.

     Schließlich kam am Abend noch der Kommandant mit Dalschewsky als Dolmetscher u. hatte allerhand Wünsche, doch nichts von besonderer Bedeutung. Heute früh kam er schon wieder u. brachte uns einen elfjährigen Jungen, den eine russ. Streife im Darss aufgefunden hat. Er heißt Willy Pagel, ist am 15. Jan. 1934 in Berlin-Neukölln geboren, sein Vater ist angeblich gefallen, die Mutter ist sonst umgekommen auf der Flucht aus Danzig, ihrem letzten Wohnort. Der Junge wird jetzt erst einmal sauber gemacht. Er bekommt zu essen u. dann werde ich ihn vernehmen. Der Kommandant will, daß ich ihn dann nach Wustrow abschiebe, da aber seit heute Nacht sehr schlechtes Wetter eingetreten ist, werde ich damit noch etwas warten. Der Junge kann eine Nacht bei uns schlafen.

Freitag, 29. Juni 1945.     

     Der gestrige Tag, an dem es pausenlos regnete, schloß wieder mit allerhand Aufregungen. Wir sollten für unseren Kommandanten Bettwäsche u. a. Dinge liefern u. hatten eben grade einen ähnlichen Lieferungsbefehl von den Kommandanten in Althagen mit Hilfe unseres Kommandanten abgewehrt. Unsere Schutzpolizisten, die den Auftrag hatten, die Wäsche zu unserem Kommandanten zu bringen, brachten sie statt dessen nach Althagen. Es mag sein, daß Paul einen unklaren Befehl gegeben hat, was aber nicht wahrscheinlich ist. Eher ist anzunehmen, daß die Schutzpolizisten nicht ordentlich hingehört haben. Jedenfalls war das Ganze eine große u. höchst unangenehme Pleite u. ich war ratlos, was wir tun sollten. Zunächst schickte ich zu unserem Kommandanten

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Hans Brass: TBHB 1945-06-28. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-06-29_001.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2024)