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Seite:HansBrassTagebuch 1945-07-05 001.jpg

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kann, wo andere Leute alles verloren haben u. selbst das Notwendigste entbehren müssen. Sie waren mit dem Auto glücklich hierher gekommen; aber die Russen hier haben ihnen nun das Auto kurzer Hand fortgenommen. Wahrscheinlich wollten sie nun die 20 ltr. Benzin von mir für dieses Auto haben. – Die junge Frau klagte mir nun unter Tränen, daß zwei Soldaten dagewesen wären, die den Befehl gebracht hätten, sofort innerhalb einer Stunde aufzubrechen u. zu Fuß nach Wustrow zu gehen, von dort sollen sie mit dem kleinen Kinde sich auf den Weg nach Berlin machen. Ich konnte ihr da nicht helfen. Diese Leute handeln eben immer noch ohne Verstand u. Verantwortung u. sie meinen, daß sie mit ihren Kurfürstendamm-Manieren auch durch diese Zeit hindurchkommen. Die junge Frau ist Halbjüdin u. sie glaubt ebenso wie der junge Kahlig, daß darin ein Verdienst läge u. sie ein bequemes u. faules Schmarotzerdasein auf Kosten Anderer führen können. Die Russen haben dafür aber garkeinen Sinn u. hier, wo es keine Konsulate gibt, ist ihnen auch die holländ. Staatsangehörigkeit ganz gleichgültig.

     Soeben um 5 Uhr nachm. höre ich, daß heute die erste Post in Ahrenshoop angekommen ist. Es sind meist sehr alte Briefe. Herr Pedak im Büro hat eine Aufforderung vom 24. März von seiner Dienststelle erhalten, den Dienst wieder aufzunehmen; aber Frau Niemann von der Post, die eben hier war, hat einen Brief vom 26. Juni erhalten aus der Nähe von Rostock. Sie sagt, daß vorläufig wöchentlich zwei mal Post hier ankommen u. auch abgehen soll.

Donnerstag, 5. Juli 1945.     

     Gestern mittag wurden Martha u. ich wieder von dem kleinen Kommandanten Michael zum Essen eingeladen. Nachher gingen wir bei Hagedorn zu Ripke, weil mir gesagt worden war, er sei schwer krank. Wir fanden diesen sonderbaren Menschen in einem dunklen Holzschuppen, in dem er schon seit Jahren haust, in einem unvorstellbaren Wirrwarr von Dingen u. Geräten. Er lag in einem Verschlag unter Lumpen. Hagedorn mußte mit einer Lampe leuchten. Es ist unverständlich, wie ein Mensch so leben kann. Ich ließ Prof. Reinmöller rufen. Später traf ich ihn auf der Straße, auch er hatte dergleichen noch nie gesehen. Er meinte, daß da kaum etwas zu machen sei, da man den Kranken nicht untersuchen konnte. Der Verschlag, in dem er lag, war nämlich nur über einen Tisch hinweg zu erreichen, er muß immer über diesen hinweg geklettert sein, wenn er sich hinlegen wollte, denn der Tisch war nicht fortzurücken. Außerdem weigerte sich Ripke, seine finstere Behausung zu verlassen, man hätte ihn direkt gewaltsam herausschleppen müssen. – Heute früh kam Frau Hagedorn u. sagte mir, daß Ripke in der Nacht gestorben sei. Er, Hagedorn, hat ihm nach dem, was Frau H. sagt, noch die letzten Dienste geleistet u. hat damit bewiesen, daß er nicht bloß ein dummer Schieber ist, sondern auch ein gutmütiger Kerl, dem Gott seine Guttat lohnen wird. Ich schickte Langhinrichs u. einen Hilfspolizisten hin, damit sie den Toten aus dem Loch herausholen u. in den Schuppen auf dem Friedhof bringen sollten. Prof. Reinmöller wird dann die Totenbescheinigung schreiben u. morgen oder übermorgen werden wir ihn begraben. Auch einen Sarg habe ich bestellt. Ein seltsamer Mensch hat damit seine Erdentage erfüllt u. das Geheimnis, das um ihn lag, mit ins Grab genommen.

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Hans Brass: TBHB 1945-07-03. , 1945, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-07-05_001.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2024)