TBHB 1945-07-03
Einführung
Der Artikel TBHB 1945-07-03 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 3. Juli 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Mittags versuchte ich gestern, den Kommandanten in der Batterie zu besuchen, traf ihn aber nicht an. Am Nachmittag kam er aber zu mir ins Geschäftszimmer. Er brachte Frau Marie Seeberg mit als Dolmetscherin. Dieser Mensch, der seinem Gesicht u. seinen Händen nach zu urteilen weder dem Bauern= noch dem Arbeiterstande angehört, sondern den Eindruck eines kleinen Angestellten macht, ist ein unbeschreiblicher Flegel. Es fehlt diesen Leuten die allermindeste Vorstellung von Benehmen. Der Kerl flegelt sich im Stuhle herum wie ein richtiger Lümmel u. man möchte ihn immerzu ohrfeigen. Der kleine Sergeant Michael, der bisher unser Kommandant war, ist ein Bauernsohn aus dem Ural, der zwar keine Ahnung von gesellschaftl. Schliff hat, aber doch über einen natürlichen Anstand verfügt, der sehr sympatisch wirkt. Dieser Oberleutant aber ist einfach ein Lümmel.
Er verlangte von mir gestern 20 Ltr. Benzin. Ich versicherte ihm, daß ich kein Benzin hätte u. im ganzen Dorf kein Benzin aufzutreiben wäre. Er wollte das nicht glauben u. meinte, daß es mir schlecht gehen würde, wenn ich ihm bis heute das Benzin nicht schaffte. Der Kerl hat nämlich ein Motorrad, auf dem er nicht fahren kann, weil er kein Benzin hat u. sein Vorgesetzter, der Hauptmann u. Kommandant von Wustrow leidet an demselben Mangen für sein Motorrad.
Gegen Abend kam Herr Harder u. sein Genosse von der polit. Polizei in Ribnitz aus Wustrow. Er tat zunächst sehr indigniert, weil ich Hagedorn sein Fleisch zurückgegeben hatte u. fragte, warum das geschehen sei. Ich sagte, die Beschlagnahmung sei auf Grund der sog. „Schlachtscheine“ erfolgt, die sich dann als „Anrahmungsbescheide“ herausgestellt [2] Kein Fehler gefunden.hätten. Mithin sei die Beschlagnahmung auf Grund eines Irrtums erfolgt u. ich hätte deshalb entsprechend entschieden. Herr H. zeigte mir daraufhin ein ziemlich umfangreiches Schreiben, nach dem er als Vertreter der polit. Polizei in Ribnitz berechtigt ist, überall nach Fazisten zu suchen, Haussuchungen zu machen u. Beschlagnahmungen nach eigenem Gutdünken vorzunehmen. Er erklärte mir, daß Hagedorn eben ein Fazist sei u. daß er deshalb jetzt das Fleisch neuerlich beschlagnahmen würde u. zwar so, daß Hagedorn nichts behielte, – während er ihm beim ersten Male doch einiges belassen hätte. Ich sagte ihm daß er so handeln müsse, wie es ihm seine Auftraggeber u. sein Gewissen vorschrieben u. daß überdies eine solche Beschlagnahmung der hausgeschlachteten Vorräte auf die Dauer wahrscheinlich unvermeidlich sein würde, u. zwar nicht nur bei ehemaligen PG's, sondern bei allen. Es ist eben unhaltbar, daß einige Menschen Vorräte aus Hausschlachtungen haben u. andere bekommen überhaupt kein Fleisch. Wir haben gestern das Wildschwein verkauft u. es haben etwa 150 Menschen davon etwas abbekommen, nachdem wir früher schon einmal an 150 Menschen Wildfleisch verkauft haben. Es sind das 300 Menschen, die etwas bekommen haben, während weitere 350 Menschen nichts bekommen haben. Diese haben seit über 14 Tagen kein Fleisch mehr gesehen, sie leben nur von Kartoffeln u. Brot ohne jedes Fett.
Insofern ist es ja sehr schön, daß das Hagedornsche Fleisch nun zum Verkauf kommt. Ich lasse es als Fettzuteilung verhaufen zu 50 gr. pro Kopf, sodaß jeder Einwohner etwas davon empfangen kann. Herr Harder u. sein Genosse packten sich für sich selbst eine Speckseite von 10 Pfund u. eine Wurst ein. Das Geschäft lohnt sich also. Ich selbst habe kein Interesse mehr daran, Hagedorn zu schützen, nachdem die Frau, wie mir gesagt worden ist, erzählt haben soll, daß auch ich mich persönlich bei der ersten Beschlagnahmung bereichert haben soll.
Mittags kam unser kleiner Michael in Begleitung von Sascha u. einem baumlangen, sehr sympatisch aussehenden Feldwebel aus Zingst. Sie wollten wieder 1 Sofa u. 5 Sessel haben aus dem Hause Garthe. Die Aermste wird nun plötzlich ihren Möbel-Ballast los. Außerdem wollten sie 2 große Blumenvasen haben, die man auf den Fußboden stellen kann. Ich bot ihnen unsere alte Hail-Vase an, die in der Diele eigentlich immer im Wege steht, aber sie wollten vom Bürgermeister nichts nehmen. Als ich ihnen sagte, daß es mir eine Freude wäre, Stalin ein Geschenk machen zu können, strahlten sie u. drückten mir dankbar beide Hände. Frau Garthe dagegen scheint weniger erfreut gewesen zu sein. Sie schickte ihre beiden kleinen Enkelkinder mit einem Zettel, ich sollte ihr helfen, man holte ihr ein Sofa u. fünf Sessel ab, – aber was ist da zu helfen. Andere Leute haben längst nichts mehr, – das Kurhaus z.B., für das der Besitz von Möbeln die Existenz bedeutet ist total leer – u. hier handelt es sich doch bloß um überflüssigen Luxus.
Als ich um 3 Uhr ins Geschäftszimmer ging, kam die Tochter von Frau Müller-Saatmann, die mit einem Holländer verheiratet ist, der von Beruf Artist ist. Das Ehepaar war vor einiger Zeit nach Berlin gefahren, um zu erkunden, wie es dort ist. Sie hatten ihr Kind derweil hier bei der Mutter gelassen. Nun waren die Leute mit einem Auto hierher zurückgekommen u. hatten Wunderdinge von Berlin erzählt. Nun ja, – für Schieber u. alle Arten geschickter Leute ist jetzt wohl goldene Zeit in Berlin, sodaß man sich sogar in kurzer Zeit ein Auto organisieren [3] kann, wo andere Leute alles verloren haben u. selbst das Notwendigste entbehren müssen. Sie waren mit dem Auto glücklich hierher gekommen; aber die Russen hier haben ihnen nun das Auto kurzer Hand fortgenommen. Wahrscheinlich wollten sie nun die 20 ltr. Benzin von mir für dieses Auto haben. – Die junge Frau klagte mir nun unter Tränen, daß zwei Soldaten dagewesen wären, die den Befehl gebracht hätten, sofort innerhalb einer Stunde aufzubrechen u. zu Fuß nach Wustrow zu gehen, von dort sollen sie mit dem kleinen Kinde sich auf den Weg nach Berlin machen. Ich konnte ihr da nicht helfen. Diese Leute handeln eben immer noch ohne Verstand u. Verantwortung u. sie meinen, daß sie mit ihren Kurfürstendamm-Manieren auch durch diese Zeit hindurchkommen. Die junge Frau ist Halbjüdin u. sie glaubt ebenso wie der junge Kahlig, daß darin ein Verdienst läge u. sie ein bequemes u. faules Schmarotzerdasein auf Kosten Anderer führen können. Die Russen haben dafür aber garkeinen Sinn u. hier, wo es keine Konsulate gibt, ist ihnen auch die holländ. Staatsangehörigkeit ganz gleichgültig.
Soeben um 5 Uhr nachm. höre ich, daß heute die erste Post in Ahrenshoop angekommen ist. Es sind meist sehr alte Briefe. Herr Pedak im Büro hat eine Aufforderung vom 24. März von seiner Dienststelle erhalten, den Dienst wieder aufzunehmen; aber Frau Niemann von der Post, die eben hier war, hat einen Brief vom 26. Juni erhalten aus der Nähe von Rostock. Sie sagt, daß vorläufig wöchentlich zwei mal Post hier ankommen u. auch abgehen soll.