bekommen soll; möglicherweise werden auch wir dann wieder Strom haben.
Heute früh sind 132 Flüchtlinge abgefahren. Ich hoffe, daß damit eine fühlbare Erleichterung der Ernährungslage für den Ort eintreten wird. Die Leute, die abgefahren sind mit dem Dampfer ab Althagen, gehen einem schweren Schicksal entgegen, möge ein gütiger Gott sie schützen. Ich konnte es nicht mehr u. viele von ihnen messen mir die Schuld an ihrem Schicksal zu. Es ist sehr hart, das tragen zu müssen.
Herr Dr. Hahn erstattete Bericht über seine Reise nach Barth, die äußerst schwierig war. Ueber die Zingster Brücke ist er nur gekommen mit falschen Pässen, die ihm der russ. Wachtposten gegeben hat, da Dr. H. sein Schreiben des hiesigen Kommandanten aus dem Mohnheim'schen Hause an ihn vorwies. Es war nicht ungefährlich, aber die Reise hat sich gelohnt. Leplow, der mitgefahren war, hat seine Handelserlaubnis für Damgarten bekommen. Dr. H. hat mit dem stellvertr. Landrat verhandelt, der unmittelbar im Begriff stand, nach Schwerin zur Regierung zu fahren u. der sich alle Klagen genau notiert hat. Ebenso hat Dr. H. mit dem Forstmeister wegen Holzlieferung günstig verhandelt.
Leider brachte Dr. H. aber auch die traurige Nachricht, daß Pfr. Dobczynski den Aufregungen erlegen ist u. am 4. Juni bereits heimgegangen ist. Seine Schwester Gertrud schreibt mir ausführlich über die furchtbaren Tage des Russeneinmarsches u. über das Ende ihres Bruders. Gott hat sonst alle Insassen des Pfarrhauses gnädig beschützt, aber es muss furchtbar in Barth gewesen sein. Auch jetzt sind die Verhältnisse noch sehr schlimm, die Ernährungslage ist nicht besser, wie bei uns. – Schwester Gertrud schickt uns ein Foto vom Sterbelager und ein kleines Gebetbuch. Sie bittet mich, mir ein Buch aus der Bibliothek des Pfarrers zu wünschen.
Gestern abend kam der Dampfer, der die Flüchtlinge abgefahren hatte, mit Lebensmitteln zurück: Kartoffeln, Rübenschnitzel, Mehl u. Graupen. Mit dem Mehl war es besonders hohe Zeit, sonst hätten wir heute kein Brot mehr gehabt.
Nach dem Dienst half ich bei Paetow, die Scheune aufzuräumen, weil er heute den Roggen einfahren will. Er hat viel vorjähriges Stroh übrig behalten, da er es nicht gebraucht hat, nachdem ihm seine Pferde gestohlen worden sind. Abends kam die kleine Enkelin u. sagte, daß Kämmerer bei Paetow Klee abmäht u. abfährt. Es stehlen nicht bloß die Russen, sondern auch die Deutschen. – Gretel Neumann war gestern Abend noch da u. berichtete aus Ribnitz. Sie hat den Dampfer beladen und hat sich wieder in
Hans Brass: TBHB 1945-08-06. , 1945, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-08-07_001.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2024)