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Seite:HansBrassTagebuch 1945-09-25 001.jpg

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vor der Tür Wache gestanden hatte u. bedeutete ihm durch eine Handbewegung, Paul abzuführen. Paul war sehr beherrscht. Er ging ruhig mit, nachdem er mir noch die Schlüssel übergeben hatte, stieg in's Auto. Der Russe drohte mir, indem er meinte, ich hätte doch gewußt, daß Paul zur SS gehörte. Dann ging er.

     Ich saß wie erschlagen. Dann ging ich zu Grete u. teilte ihr das Vorgefallene mit. Auch sie war sehr gefaßt, obgleich sie furchtbar aufgeregt war. –

     Es ist grauenhaft, daran zu denken, daß Paul das Gleiche jetzt durchmachen soll wie der ehemalige Zöllner Nülken, der ebenfalls 6 Wochen lang in Barth verhaftet war u. grade eben von dort zurückgekommen ist. Der Mann hat 6 Wochen lang mit anderen Gefangenen zusammen in einem Keller gesessen. Das Essen bestand aus einer Wassersuppe mit Kartoffeln u. Brot. Er ist in diesen 6 Wochen nur einmal kurz verhört worden, wobei sich dann herausstellte, daß garnichts gegen ihn vorlag. Er ist dann entlassen worden u. er mußte zu Fuß von Barth hierher zurückgehen. Er sieht natürlich erschreckend elend aus. Paul würde eine solche Strapaze keinesfalls aushalten. – Das Unheimliche dabei ist, daß mir selbst jeden Tag dasselbe passieren kann.

Dienstag, 25. Sept. 1945.     

     Je mehr ich es überlege, um so klarer wird es mir, daß diese ganze Geschichte ihren Ursprung in dem ehemaligen Wustrower Kommandanten haben wird. Dieser Mann ist mir von Anlang an mit unverhohlenem Hass begegnet; aber so gern er es gewollt hätte, hat er mich doch nie angreifen können. Es kam dann diese Frau Hartmann aus Berlin zurück, die besonders mit Erika Wollesen verkehrt hatte u. der Erika wahrscheinlich zuviel anvertraut hat. Diese Frau hatte in Berlin Dr. Hoffmann getroffen, der von hier geflohen war u. der vom Kommandanten verfolgt wurde. Der Kommandant hat Frau Hartmann, die im Lukas wohnte, im Auto morgens früh abgeholt u. sie erst Abends zurückgebracht – oder gar erst am nächsten Tage –, ich weiß es nicht mehr genau. Es hieß, er sei mit ihr nach Berlin gefahren, um Dr. Hoffmann zu suchen. Ich glaube das zwar nicht, aber sicher ist, daß dieser Kommandant sich auffällig mit Frau Hartmann abgegeben hat u. daß Dr. Hoffmann dabei eine Rolle spielte. Es ist immer die Methode der Russen, alle Leute, deren sie irgendwie habhaft werden, auszuhorchen, u. so wird es auch mit Frau Hartmann gewesen sein. Sie mag dann, um sich Vorteile zu verschaffen, allerhand über Wollesen erzählt haben – u. wohl auch über Paul, über den sich Erika sicher oft bei Frau H. beklagt haben mag. Und so ist dieses Netz gewebt worden. Vielleicht ist auch Herr Nülken während seiner Haft in Barth darüber verhört worden. In jedem Falle hatte der Mann es gestern auf drei Namen abgesehen. Brass, Küntzel u. Wollesen. An mir hatte, er offenbar das geringste Interesse. –

     Gestern Abend war ein Fuhrmann aus Ribnitz hier, der Kartoffeln brachte. Er erzählte, es seien etwa 30.000 Russen durch Ribnitz gezogen von Westen nach Osten. Gestern Abend kam noch um 10 Uhr der kleine Sergeant von Monheim mit seiner Liebsten u. verlangte, daß ein Mantel, der für das Mädchen gemacht wird, anprobiert würde, damit er heute fertig würde. Die Kosacken im Monheim-Hause packen jedenfalls ihre Sachen. Heute Nacht um 2 Uhr mußte Handschak, der Brandt'sche Kutscher mit seinen Pferden losfahren in Richtung Born u. auch die Paetow'schen Pferde wurden heute morgen geholt. Auch die Infantristen in der Batterie sollen im Aufbruch sein, aber es heißt, es kämen

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Hans Brass: TBHB 1945-09-24. , 1945, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-09-25_001.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2024)