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Seite:HansBrassTagebuch 1945-11-02 001.jpg

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Freitag, 2. Nov. 1945 Allerseelen.     

     Heute früh 1/2 8 Uhr wurde ich von dem Leutnant bei Monheim aus dem Bett geholt. Er kam gleich mit noch drei Mann, darunter 2 Matrosen, die nach Prerow gebracht werden sollten. Ich sagte ihm, er müsse sich an den Kommandanten in Althagen wenden, wenn er einen Wagen haben wollte; aber davon wollte er natürlich nichts wissen. Es gab ein langes Gerede u. schließlich zogen alle ab; aber draußen müssen sie Handschak aufgegriffen haben, jedenfalls sah ich später, daß Hanschak mit dem Wagen doch losfuhr. – Ich sehe immer mehr, daß ich die Sache nicht mehr machen kann. Ging gestern schon um 8 Uhr zu Bett schlief aber schlecht Heute habe ich einen veritablen Durchfall, der sich sehen lassen kann. – Vormittags war Herr Degner hier u. ging mit mir die Liste der Lebensmittel-Karten durch. Die neuen Bestimmungen, die seit dem 1. Nov. gelten, sind überaus hart u. machen viele Ungerechtigkeiten unvermeidlich. Dazu kommt, daß uns von Ribnitz viel zu wenig Karten geliefert worden sind, sodaß viele Leute zunächst überhaupt keine Karten bekommen können, bis die fehlenden nachgeliefert worden sind. Wann das der Fall sein wird, ist ungewiß, da man nicht weiß, ob morgen der Dampfer fahren wird. Dieser ist am Mittwoch-Abend vor Dierhagen auf Grund gelaufen u. hat bis Donnerstag Nachmittag festgesessen. Die Passagiere mußten ausgebootet werden u. mußten von Dierhagen hierher zu Fuß gehen. Die Ausbootung mußte von Dierhäger Fischern vorgenommen werden, weil der Dampfer kein Beiboot hatte. Die Leute kamen verhungert u. durchfroren hier an.

     Gestern schickte die gute Frau Neumann aus dem Kurhause eine Terrine mit Hühnerbrühe, die wir zu Mittag aßen.

     Es hieß gerüchtweise, daß ab 1. Nov. die Stromzuteilung besser werden würde. Bisher hatten wir zwar schwachen, aber ausreichenden Strom von Morgens 8 Uhr bis Nachm. 5 Uhr, u. dann wieder von Abends 9 Uhr bis Morgens 7 Uhr. Seit gestern wird aber der Strom schon um 4 Uhr Nachmittags ausgeschaltet u. erst um 10 Uhr Abends wieder eingeschaltet, u. zwar so schwach, daß man nicht einmal Radio hören kann.

Sonnabend, 3. Nov. 1945.     

     Fühlte mich heute erstmalig etwas wohler, habe den ganzen Tag Briefe für die Gemeinde geschrieben. Am Nachmittag kam Prof. Reinmöller, um nach mir zu sehen. Ich schenkte ihm ein Paket Tabak, worüber er sich sehr freute. Wir sprachen den Verlauf meiner Krankheit durch, er meinte, daß er selten einen so heftigen Kolikanfall bei einem Menschen gesehen hätte. Herr Dr. Lasch hatte ihm einen ausführlichen Krankenbericht geschickt. – Im Verlaufe des Gesprächs erzählte er mir, daß Frau Margot Seeberg den Ehrgeiz hätte, an meiner Stelle Bürgermeister zu werden, – natürlich unter dem Protektorat des Herrn Dr. Ziel. – Später kam Paul, der mir bestätigte, ähnliche Gerüchte ebenfalls gehört zu haben. Auch Martha meint, daß Herr Gläser derartiges gesagt habe. Jetzt fällt mir ein, daß Herr Gläser mir gegenüber auch schon eine Bemerkung in dieser Richtung getan hat, aber ich hatte das nicht Ernst genommen.

     Frau Schuster war da u. besprach allerhand Gemeinde=Angelegenheiten, u. a. auch, daß Frau Doris Oberländer um die erhöhte Lebensmittel=Karte eingekommen, weil sie Mitglied des Kulturbundes zur demokrat. Erneuerung Deutschlands sei. Mir kam das wie ein Wink des Himmels vor u. ich schrieb mir gleich die Anschrift der Geschäftsstelle in Rostock, Schillerplatz 10. ab. Ich habe sofort selbst um Aufnahme in den Kulturbund gebeten, damit ich nicht

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Hans Brass: TBHB 1945-11-02. , 1945, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-11-02_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2024)