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Seite:HansBrassTagebuch 1945-11-04 001.jpg

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meine Lebensmittelkarte verliere, wenn ich nicht mehr Bürgermeister sein werde.

     Gestern am Spätnachmittag war Paul da, mit dem ich eine eingehende Aussprache hatte. Seine Tochter Erika ist nun ja fort, nicht ohne daß es vorher noch Differenzen zwischen ihr u. ihm gegeben hätte. Ich sagte ihm unverblümt meine Meinung über Grete u. seine drei Töchter u. er selbst beklagte sich bitter über Grete u. ihre scheinheilige Verlogenheit. Paul ist sicher ein Mensch, der zu Gleichgültigkeit u. Oberflächlichkeit neigt u. der den Dingen nicht gern denkend auf den Grund geht, – aber er hat das im Leben an der Seite dieser Frau bitter büßen müssen.

     Der Strom wird wieder um 9 Uhr Abends eingeschaltet, – aber von 5 – 9 Uhr sitzt man im Dunklen. Meist gehen wir dann schlafen ehe das Licht wiederkommt, nur heute bin ich einmal auf geblieben, weil ich noch an den Kulturbund schreiben wollte.

Sonntag, 4. November 1945.     

     Ich konnte auch heute immer noch nicht in der gewohnten Weise die Andacht halten, wir mußten uns begnügen, gemeinsam die Meß-Gebete vom Allerheiligen-Fest zu beten. Ich bin immer noch müde u. sehr angegriffen. – Ueber Mittag kam Prof. Triebsch, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Er hatte für sich eine höhere Lebensmittelkarte beantragt, da Dr. Ziel ihm die allerniedrigste Karte gegeben hatte. Dr. Ziel hatte dies zum Anlaß genommen, Ilse Schuster einen Brief an das Wirtschaftsamt zu diktieren, in welchem er dem W-A diesen u. andere Anträge zur Entscheidung vorlegen wollte. Dieser Brief sollte vom stellvertr. Bürgermeister unterschrieben werden. Ilse Schuster gab mir aber vorher diesen Brief u. ich warf ihn in den Papierkorb. Erstens steht dem W-A. eine solche Entscheidung garnicht zu, sondern dem Bürgermeister, gegen dessen Entscheidung der Betroffene dann Beschwerde einlegen kann, wenn er will u. zweitens enthielt dieser Brief zahlreiche gemeine u. hinterhältige Angriffe gegen Triebsch, Gläser u. a. So behauptete Triebsch, daß er seinen Professortitel, seinen Staatspreis u. die Goethe-Medaille von den Nazis erhalten hätte, was zwar stimmt, wonach aber niemand gefragt hat. Da Triebsch mir auf meine Bitte vor längerer Zeit einen Bericht übergeben hatte über seine politische Einstellung u. da er sich zum Beweise seiner antifaschistischen Gesinnung ausgerechnet auf Herrn Dr. Ziel berufen hatte, machte ich Triebsch auf dieses Verhalten des Herrn Ziel aufmerksam. Er war ganz außer sich u. im höchsten Grade empört. Es lässt sich denken!

     Später kam überraschend Herr Dr. Jaeger aus Chemnitz, der für zwei Tage hierher gekommen war u. bei Ziels wohnt. Er ist ja lange mit Ziels befreundet. In seiner Begleitung war noch ein anderer Herr. Beide waren nur kurz da, weil wir grade beim Essen waren. Was Dr. Jaeger hier will, habe ich nicht erfahren können. Auch Lore Ziel ist anscheinend mit diesen beiden Herren hierher gekommen. Dr. J. erzählte aus Chemnitz, daß dort das Wirtschafts= u. Geschäftsleben wieder in bester Ordnung sein soll, was ich nur als maßlose Uebertreibung aufnehmen kann.

     Nachmittags gingen Martha u. ich wieder zum evang. Gottesdienst in die Schule. Pfr. Pleß sprach wieder sehr gut, er ist ein wahrhaft frommer Mann. Zum Unterschied von neulich war es heute ziemlich voll, – allerdings nicht im Verhältnis zur Einwohnerschaft. Es mögen 50 Personen dagewesen sein, was bei einer Zahl von 450 Einwohnern nicht übermäßig viel ist.

     Später waren Paul + Grete bei uns, aber ich drückte mich bald in mein Zimmer, es wurde mir zuviel.

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1945-11-03. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-11-04_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2024)