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Seite:HansBrassTagebuch 1945-11-16 001.jpg

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aber man gibt uns dazu weder das Geld, noch das Material, noch gibt man uns die zur Unterhaltung solcher Anstalten notwendigen Hilfskräfte. Man verlangt im Gegenteil, daß wir hilfsbedürftige Flüchtlinge noch mit Geld unterstützen sollen. Frau Schuster war gestern in Ribnitz beim Wirtschaftsamt, wo ihr gesagt worden ist, daß an die Russen keinerlei Lebensmittel abgegeben werden dürften, widrigenfalls wir uns strafbar machen; aber niemand hilft uns, uns der Forderungen der Russen nach Brot u. Kartoffeln u. a. Lebensmittel erfolgreich zu widersetzen. Erst gestern war wieder Bauer Paetow bei mir u. klagte, daß die Russen in seinem Kartoffelkeller seien u. Kartoffeln holten. Ich konnte ihm nicht helfen. – Während die Herren bei mir waren, kam der russ. Leutnant aus dem Monheim'schen Hause u. erklärte mir wieder einmal, daß nur er hier zu sagen hätte, die Althäger hätten hier nichts zu sagen u. daß die Fischer künftig Ausweise von ihm haben müßten, sonst würde geschossen. Außerdem verlangte er die Stellung von Musikern, weil die Russen tanzen wollten. Von Paetow hörte ich gestern erst, daß die Russen dauernd sein Gespann zu Fahrten nach Prerow benutzen, sodaß P. seinen Acker nicht bestellen kann. Alle diese Dinge sind eben unerträglich. –

     Aber eine Freude war heute endlich einmal, weil ein Brief von Anneliese kam, in dem ein von Fritz selbst an Annliese geschriebener Brief lag. Dieser ist vom 5. Oktober. Er schreibt, daß er noch immer im Gefangenenlager Freiburg-Flughafen ist, daß es aber leider noch immer ungewiß ist, was werden wird, obgleich er selbst dienstunfähig ist. Er schreibt, daß er trotz guter Beziehungen nicht freikommt. Er war 3 Monate im Lazarett in Hinterzarten u. nun ist er schon 4 Monate im Lager. Er hat mehrfach geschrieben u. die Post entlassenen Kameraden mitgegeben, aber es ist nichts angekommen. Er teilt nun mit, daß er selbst über das Deutsche Rote Kreuz in Freiburg, Lorettostraße 1 postalisch zu erreichen sei. Wir werden das sogleich versuchen. Er hat auch an Ruth mehrfach geschrieben, aber er weiß nichts von ihr. – Anneliese hat auch von Kurt nichts gehört bis auf eine Nachricht aus Langensalza von einem Mann, der mit ihm zusammen in russ. Kriegsfangenschaft gewesen sein will, doch glaubt Anneliese, daß es Schwindel ist.

     Ferner bekam ich einen Brief von dem Schriftsteller Alfred Sittarz aus Pillingsdorf, Post Neustadt a. Orla. Er war hier Soldat u. wir halfen ihm, von hier fort zu kommen, er bekam von mir eine Jacke u. einen Hut. Drei Monate hat er gebraucht, um von hier in seine Heimat zu gelangen. –

     Schließlich erhielt ich vom Kulturbund die Nachricht, daß ich in den Bund aufgenommen sei. Das ist also nun geschehen, die erste Anknüpfung an das Kunstleben seit 12 Jahren!

Freitag, 16. November 1945.     

     Gestern Nachmittag war nochmals Paul bei mir. Als er gegangen war, kam mir die Klarheit, daß er u. kein anderer den Bürgermeisterposten übernehmen muß. – Ich hatte in den letzten Tagen sehr viel zum Hl. Geist gebetet u. um Klarheit gebeten, ob es recht ist, wenn ich das Amt niederlege u. die Gemeinde irgend einem Nichtskönner oder gar einem politischen Geschäftemacher auslieferte. Nun sah ich ganz plötzlich klar, daß Paul nicht nur ein viel besserer u. erfahrenerer Verwaltungsbeamter ist, als ich, der ich von solchen Sachen ja garkeine Ahnung habe, sondern daß Paul damit auch sehr geholfen wird. Er ist schon längst mit seinem Gelde am Ende, sodaß ich ihm schon vor Monaten mit 500,– Rm. ausgeholfen habe; aber auch dieses Geld muß nun ja aufgebraucht sein u. an eine Pensionsregelung ist noch garnicht zu denken. Als Bürgermeister aber hat er Anspruch auf eine Dienstaufwands-Entschädigung von 180,– Rm. monatlich,

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1945-11-15. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-11-16_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2024)