Die große Sensation ist die Rede, die der amerikanische Außenminister Byrnes in Stuttgart gehalten hat. Ein glücklicher Zufall spielte mir den Tagesspiegel vom 7. September, also gestern, heute schon in die Hand, in dem die Byrnes-Rede im Wortlaut abgedruckt ist. Ich las sie Martha u. Vera vor. Diese Rede wirkt wie eine Flucht aus der stickigen Luft der Pariser Konferenz in die Oeffentlichkeit. Es ist nur schade, daß diese Rede hier in der Ostzone kaum bekannt werden wird, denn dann würde jeder Denkende wissen, wie er am 15. September zu wählen hat. Diese Rede ist eine sehr präzise Erklärung über Deutschland. Byrnes versichert, daß Amerika bereit sei, die Initiative zu ergreifen u. die Art, wie er dies tut, erinnert an das Zerhauen eines sonst unlösbaren Knotens. Auch sprach er von der notwendigen Revision der deutsch-polnischen Grenze. Er fordert die wirtschaftliche Einheit Deutschlands, wie sie in Potsdam beschlossen war. Er erwähnt Rußland nicht, aber jeder sieht u. weiß, daß Rußland diese Einheit verhindert. Er fordert weiter die schnelle Wiederherstellung des deutschen Staates durch eine neue Bundesregierung, ferner die Annahme einer deutschen Verfassung u. die baldige Unterzeichnung eines Friedensvertrages. Vor allem fordert er Aufhebung der Zonengrenzen. – Diese Rede ist deshalb besonders bemerkenswert, als grade eben eine wirtschaftliche Fusion der amerikanischen u. englischen Zone Tatsache geworden ist. B. fordert Rußland u. Frankreich auf, dieser Fusion beizutreten. Das Saargebiet spricht er Frankreich zu, nicht aber das Ruhrgebiet u. das Rheinland, ebenso wenig die von den Polen besetzte Ostgrenze. Die ganze Rede ist für Deutschland sehr hoffnungsvoll u. stärkt meine Absicht, am 15. September einen ungültigen Wahlzettel abzugeben. Das ist auch P. Beckmanns Ansicht, wie ich zu meiner Befriedigung feststellte, noch ehe ich die Rede von Byrnes gelesen hatte. P. Beckmann sagt, daß die SED. eine Flüsterpropaganda in den Dörfern ausstreut, daß die Russen uns den Brotkorb höher hängen werden, wenn die Wahl nicht ihren Wünschen gemäß ausfallen sollte. Die SED-Leute brauchen keine Angst zu haben, sie werden hier mit ebenso großer Mehrheit gewählt werden, wie in Sachsen; aber das darf mich nicht hindern, meinen Protest auszusprechen. – Heute ist die Wahl in Provinz Sachsen u. Thüringen, auch dort wird die SED. siegen. – Das Volk ist viel zu feige, um Nein zu sagen, aber es ist auch wirklich schwer, sich angesichts der überwältigenden Propaganda der SED ein richtiges Bild zu machen. – Der Bürgermeister Dillwitz in Althagen ist ein Mann von Charakter. Man hat ihm jetzt gesagt, er könne Bürgermeister bleiben, wenn er aus der CDU. austreten u. der SED. beitreten werde. So ist es mit zahlreichen anderen Bürgermeistern auch geschehen u. sie sind meist umgefallen. Ihr Umfall wird dann stets in der Landes-Zeitung groß gefeiert. Aber Dillwitz ist fest geblieben, ein braver Kerl.
Morgens stille Messe, vorher Beichte. P. Beckmann frühstückte mit uns u. fuhr dann ab. Er hat jetzt Hilfe bekommen durch einen Geistlichen, der mit den sudetendeutschen Flüchtlingen, die im Laufe des Sommers in großer Zahl angekommen sind, mitgekommen
Hans Brass: TBHB 1946-09-08. , 1946, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-09-09_001.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2024)