Seite:Harz-Berg-Kalender 1919 001.png

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An unsere Leser!

     Als die ersten vier Bogen dieses Kalenders (Seite 1 bis 32) gesetzt und gedruckt fertig vorlagen, standen wir noch im Zeichen des großen Verteidigungskrieges. Damals gab es für uns nur den einen Wahlspruch: „Durch halten und Siegen“, um einen für uns günstigen Frieden zu erlangen. Daher ist denn auch der Ton der Gedichte und Sinnsprüche, die auf der Titelseite und auf jeder Monatsseite des Kalenders stehen, auf diesen Wahlspruch eingestellt.

     Inzwischen aber hatte sich das Blatt gewendet. Die oberste Heeresleitung glaubte die Front nicht mehr halten zu können. Auch im Innern ging die Einheitsfront, soweit man noch von ihr reden konnte, in die Brüche. Die Regierung sah sich genötigt, den Feinde ein Waffenstillstandsangebot zu machen, das von ihm unter geradezu teuflisch harten Bedingungen aufgestellt wurden, und von uns angenommen werden mußte, da durch das Zurücknehmen der Front und durch die Auflösung der Etappen, sowie durch die gleichzeitig ausgebrochenen Unruhen im Innern des Reiches an einen Widerstand nicht mehr gedacht werden konnte. Über Nacht wurden wir zur Republik. Auf diesen jähen Sturz und Umschwung paßten nunmehr die Gedichte und Sinnsprüche unseres Kalenders nicht mehr. Mangel an Zeit und an Papier ließen aber einen Neudruck nicht mehr zu. So möge denn der Kalender, so wie er ist, hinauswandern und Anklang finden. Manchen wird er gern an die schwere Zeit des so ruhmvoll begonnenen Krieges erinnern; gab es doch auch große Augenblicke in ihm, die vielen unvergeßlich bleiben werden. Und wenn wir, zwar halb zweifelnd doch wünschen, daß die Hoffnungen der neuen Demokratie in Erfüllung gehen mögen, daß es durch die Verständigung aller Völker unter einander keine Kriege mehr geben werde, so finden wir doch alle, welcher Richtung wir auch angehören, in den Gedichten und Sinnsprüchen aus der großen Zeit und aus verflossenen Jahren, die der Kalender aufweist, manches, was den Mut und das Pflichtbewußtsein und das Vertrauen zum deutschen Volke stärken wird. Das alles aber gebrauch in dem neuen Staatswesen, in der freien deutschen Republik; ja in dieser noch mehr als in dem alten „überwundenen“ Staatswesen. Wurde in diesem das Volk von der Obrigkeit geführt und geleitet, so soll es jetzt selbst führen und leiten; das aber erfordert eisenharte, pflichtbewußte Menschen. Mehr wie je kommt es jetzt darauf an, daß der frei gewordene Bürger auch lernt und versteht, die Freiheit, dieses köstliche Gut, richtig zu gebrauchen. Erhöhte Pflichten treten an Jedem von uns heran. Nicht der ist frei, der willkürlich seinen Instinkten und Trieben in selbstsüchtiger Neigung ohne Rücksicht auf das Wohl seiner Mitbürger freien Lauf läßt, sondern der Bürger ist wahrhaft frei, der sich zu der großen Auffassung durch- und heraufgearbeitet hat, daß er sich freiwillig aus innerem Antrieb den moralischen und politischen Gesetzen und Anordnungen fügt, die jede Regierung, auch die freieste Republik, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zum Zusammenschluß aller nationalen Kräfte und zur Weiterentwicklung der Zivilisation und der Kultur erlassen muß.


Die Freiheit ist eine Fackel, die nicht nur leuchten, sondern auch zünden kann. Sie soll uns leuchten zu den Höhen der Menschheit. Sie in dieser Weise zu gebrauchen, ist eines jeden Bürgers heiligste Pflicht. Zündet sie aber, so kann sie auch das große freie Staatsgebäude in Brand stecken, sodaß nur noch ein Schutt- und Trümmerhaufen die Stelle zeigt, wo einst ein großes Volk Großes und Gewaltiges geleistet hat.


Möge die Fackel der Freiheit dem deutschen Volke den ersteren Weg zeigen und es hin führen zur wahren Freiheit, zu dauerndem Frieden und zu sonnigem Glück. Dann begrüßt auch der alte Harzbergkalender, der schon drei Jahrhunderte lang die Geschichte und die Geschicke des Deutschen Vaterlandes an sich hat vorbeiziehen sehen, die neue deutsche Volksrepublik und wird sich vom Jahre 1919 an in ihre Dienste stellen.

W. G.