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     Das Rathaus zu Goslar ist eine weißgestrichene Wachtstube . . .

     Der Kirchhof in Goslar hat mich nicht sehr angesprochen. Destomehr aber jenes wunderschöne Lockenköpfchen, das bei meiner Ankunft in der Stadt aus einem etwas hohen Parterrefenster lächelnd herausschaute . . .

     Ergießt euch, ihr Düfte meines Herzens, und sucht hinter jenen Bergen die Geliebte meiner Träume! Sie liegt jetzt schon und schläft; zu ihren Füßen knieen Engel, und wenn sie im Schlafe lächelt, so ist es ein Gebet, das die Engel nachbeten; in ihrer Brust liegt der Himmel mit allen seinen Seligkeiten, und wenn sie atmet, so bebt mein Herz in der Ferne; hinter den seidenen Wimpern ihrer Augen ist die Sonne untergegangen, und wenn sie die Augen wieder aufschlägt, so ist es Tag, und die Vögel singen, und die Herdenglöckchen läuten, und die Berge schimmern in ihren smaragdenen Kleidern . .

     Die Sonne ging auf. Die Nebel flohen, wie Gespenster beim dritten Hahnenschrei. Ich stieg wieder bergauf und bergab, und vor mir schwebte die schöne Sonne, immer neue Schönheiten beleuchtend. Der Geist des Gebirges begünstigte mich ganz offenbar; er wußte wohl, daß so ein Dichtermensch viel Hübsches wiedererzählen kann, und er ließ mich diesen Morgen seinen Harz sehen, wie ihn gewiß nicht jeder sah. Aber auch mich sah der Harz. wie mich nur wenige gesehen, in meinen Augenwimpern flimmerten ebenso kostbare Perlen wie in den Gräsern des Tals. Morgentau der Liebe feuchtete meine Wangen, die rauschenden Tannen verstanden mich, ihre Zweige taten sich voneinander, bewegten sich herauf und herab, gleich stummen Menschen, die mit den Händen ihre Freude bezeigen, und in der Ferne klangs wunderbar geheimnisvoll, wie Glockengeläute einer verlorenen Waldkirche . . .

     Es (der Sonnenuntergang auf dem Brocken) ist ein erhabener Anblick, der die Seele zum Gebet stimmt, . . die Gesichter wurden vom Abendrot angestrahlt, die Hände falteten sich unwillkürlich; es war, als ständen wir, eine stille Gemeinde, in Schiffe eines Riesendoms, und der Priester erhöbe jetzt den Leib des Herrn, und von der Orgel herab ergösse sich Palestrinas ewiger Choral!..

     Ja, die Sache ist wahr, die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinabläuft. Wie blinkt im Sonnenschein ihr weißes Schaumgewand! Wie flattern im Winde ihre silbernen Busenbänder! Wie funkeln und blitzen ihre Diamanten! . . . Die Vöglein in den Lüften jubeln ihren Beifall, die Blumen am Ufer flüstern zärtlich: O, nimm uns mit, nimm uns mit, lieb Schwesterchen! – aber das lustige Mädchen springt unaufhaltsam weiter, und plötzlich ergreift sie den träumenden Dichter, und es strömt auf mich herab ein Blumenregen von klingenden Strahlen und strahlenden Klängen, und die Sinne vergehen mir vor lauter Herrlichkeit, und ich höre nur noch die flötensüße Stimme:


Ich bin die Prinzessin Ilse
Und wohne im Ilsestein;
Komm mit nach meinem Schlosse,
Wir wollen selig sein.

5
Dein Haupt will ich benetzen

Mit meiner klaren Well’,
Du sollst Deiner Schmerzen vergessen,
Du sorgenkranker Gesell.

In meinen weisen Armen,

10
An meiner weißen Brust,

Da sollst Du liegen und träumen
Von alter Märchenlust.

Ich will Dich küssen und herzen,
Wie ich geherzt und geküßt

15
Den lieben Kaiser Heinrich,

Der nun gestorben ist.

Es bleiben tot die Toten,
Und nur der Lebendige lebt;
Und ich bin schön und blühend,

20
Mein lachendes Herze bebt.


Und bleibt mein Herz dort unten,
So klingt mein kristallenes Schloß,
Es tanzen die Fräulein und Ritter,
Es jubelt der Knappen Troß.

25
Es rauschen die seidenen Schleppen,

Es klirren die Eisensporn,
Die Zwerge trompeten und pauken
Und fiedeln und blasen das Horn.

Doch Dich soll mein Arm umschlingen,

30
Wie er Kaiser Heinrich umschlang;

Ich hielt ihm zu die Ohren,
Wenn die Trompet’ erflang.