Seite:Harz-Berg-Kalender 1920 042.png

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von X zu schreiben – dann hätte ich ein Obdach – und gewiß kein schlechtes!“ Als er unsere ungläubigen Mienen sah, meinte er: „Es liegt mir daran, daß Sie wissen, wer ich eigentlich bin .. Meines Vaters Namen will ich verschweigen. Wozu ihn nennen, da ich ihn längst nicht mehr führe. Meine Mutter starb aus Gram, weil alles so anders kam, als sie es sich ersehnt hatte. Und mein Vater ist darüber versteinert. Ja – wirklich, er war zuletzt wie ein Steinbild ... Das kommt alles auf – auf meinen besten Freund. Der hatte dasselbe Handwerk wie Sie, Hochehrwürden.“ Seine blauen Augen funkelten höhnisch, als er so sprach. „Ich hatte Botanik und Mathematik studiert. Mein Freund also Theologie. Nun geschah es, daß wir beide nach Beendigung unserer Studien zu Hause weilten. Sie kennen die kleine Sommerresidenz X nicht? Das Schloß liegt auf einem Basaltkegel. An seinen Hängen wachsen seltene Pflanzen. Ich hatte immer ein großes Interesse an Heilkräutern und war damals auf der Suche nach einer blaublühenden Hühnerdarre. Als ich einen schmalen Acker hinaufgehe, – er zog sich in einer Talchlucht hinauf bis zu einer Steinhalde, die fast senkrecht abfiel, – höre ich ein helles Kinderlachen und sehe zu meinem Entsetzten einen kleinen Wagen herabrollen – vor dem ein Papierdrachen herflog, der an das Vorderteil des kleinen Gefährtes angebunden war, um das Kind zu belustigen. Ich kannte den Drachen, – ich hatte ihn selbst zusammengeklebt. Der Wagen rollte unaufhaltsam auf die steile Halde zu, – er mußte in den Abgrund stürzen, in einen unergründlichen Teufelskessel – in das Wasserloch am Fuße des Abhanges. Ich weiß heute nicht, wie es mir gelingen konnte – da waren wohl Engel im Spiel, weil es sich um ein unschuldiges Kind handelte – und eins aus fürstlichem Hause – um den jungen Erbgroßherzog. Ich packte den Wagen, brachte ihn zum Halten – der Erbgroßherzog, damals ein dreijähriges Bübchen – saß darin. Ich war halb von Sinnen vor Schreck – denn die Bonne des jungen Erbgroßherzogs war meine heimliche Braut und unseres Pfarrers Tochter. Wie konnte dem gewissenhaften Mädchen so etwas zustoßen – ja, wie wohl? Oben im Schatten kühler Bäume saß meine Braut, – neben meinem Freund, – eng umschlungen – weltvergessen. Ich habe gebrüllt wie ein Tier. Ich wollte beide erwürgen. Da fing das Kind an zu weinen, weil es sich vor mir fürchtete. Elisabeth – diesen schönen Namen trug sie – sank auf den Erdboden und umklammerte meine Knie. – „Schone uns!“ Er lachte und ballte die Faust. „Ich brachte es fertig, ihr kurz zu sagen, daß sie den Erbgroßherzog in Sicherheit bringen solle, – alles andere würde sich finden – aber einer sei zu viel auf der Welt. Spät abends kam mein Freund. Er beschwor mich – ihn zu schonen – er – wolle mir das Mädchen lassen – Gras werde über die Geschichte wachsen. Pfui und wieder pfui – ausgespien habe ich. Ich lasse sie Dir, schrie ich ihn an, heirate sie, oder ich – vergesse mich. Dann bin ich fortgegangen, nachdem ich erlebt hatte, daß er sie öffentlich zu seiner Braut gemacht hatte. Ich konnte es daheim nicht aushalten. Ich wanderte nach Australien – kein Bitten und Barmen meiner Mutter und kein Fluchen meines Vaters hielten mich ab. Ich wollte vergessen – draußen. Und bei Gott, es gelang mir. Was ist Weiberliebe? Man kann darüber hinwegkommen. Und sie blüht an vielen Orten, und sie füllt eines Mannes Leben nicht aus. Fünf Jahre hatte ich gebraucht, um diese Erkenntnis zu gewinnen. Dann fuhr ich wieder heim. Die alte Frau daheim sollte nicht um einen glücklichen Lebensabend betrogen werden, und der alte Mann sollte wieder lachen lernen. Ich fand meinen Freund in Amt und Würden als Nachfolger von Elisabeths Vater. Meine Mutter erzählte mir, er sei zu so viel Ehre und an ein gutes Ziel gekommen, weil er dem Erbgroßherzog – das Leben gerettet habe. Er nahm mir die Braut und schmückte sich mit der Tat eines andern. Mit der Liebe bin ich fertig geworden, nicht mit meinem Haß. Ich war zu ihm gegangen und hatte ihn unter vier Augen einen Lumpen genannt. Er war aschfahl und stumm. Meine Nähe war ihm unbequem. Es konnte ihm nicht schwer fallen, allerlei schändliche Gerüchte über mich zu verbreiten. Ach Gott – das hätte mich weiter nicht angefochten. Aber es erschien mir alles so zwecklos – wenn so etwas möglich war – Herr – da empfand ich, wie weh es tut, einen Freund verlieren, indem man ihn verachten muß. Die Heimat war mir vergällt.

     Ich ging fort. Ich ging und ging planlos die stille Straße entlang – dem Abend entgegen, in die Nacht hinein. Ich dachte – fände ich einen, der treu ist – Hunde fand ich, die treu waren, Menschen nicht. Manchmal kehrte ich wieder heim, weil es mir eine teuflische Freude machte, das furchtsame Gesicht meines Freundes zu sehen und zu hören, daß mich alle Leute für verrückt und in Laster verstrickt hielten. Als meine Mutter starb, warf mich mein Vater hinaus – er tat recht daran. Ich paßte nicht mehr zu den ordentlichen Bürgern, die am Tag ihrem Geschäft nachgehen und nachts schlafen. Dann bin ich untergetaucht – ich ging und ging – und fand mich wieder – ganz langsam – aber dann verlor ich mich nie wieder. Ich fand, daß ich mehr wußte ale viele andere,