Seite:Harz-Berg-Kalender 1922 029.png

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     Hier oben ist noch alles winterlich stumm und verschlossen. Die Fichten denken nicht an Frühling. Sie haben Zeit, bis ihre Stunde kommt. Und die Buche fügt sich und schweigt. Aber es drängt und rumort ihr im Blut. Die Knospen schwellen, die Krone wird dichter. Wie ein verirrtes violettes Gewölk liegt sie zwischen den düstern Fichten. Sonne drängt sich warm an sie, flüstert ihr zu: Grüne doch, grüne; du Einsame! Aber die Buche sträubt sich. Wie könnte sie es wagen zwischen dieser dunklen Masse! Stärker steigen die Säfte und dicker werden die Knospen Lichter Schein blüht über den Scheitel der violetten Wolke. Die Fichten murren und graunzen. Ich kann doch nicht anders! Aber sie murren weiter.

     Und plötzlich steht sie da ganz lichtgrün. Und wagt es, goldgrün in den Fichtenernst hineinzurauschen, zu leuchten, zu jubeln. Alle Scham hat sie von sich geworfen, jauchzt: Frühling, Frühling!

     Die Fichten wenden sich von ihr, ballen ihre Düsternis straffer um sich, rücken zusammen und murmeln in den Wind: Die da! Seht sie nur! Die da! Ha! Die!

Nebel.

     Am Abend zuvor stieg der Turm des Brockens plötzlich wie eine weiße Flamme in den Abendhimmel, und die Fenster des Brockenhauses verzückten sich in roter Glut. Sterne schwirrten über den Nachthimmel. Der Wirt des Torfhauses klopfte ans Barometer: Es steigt tüchtig, morgen wirds wieder klar. Also bleibe ich noch.

     Am Abend war das Barometer weiter gestiegen, aber der Himmel war bedeckt, und auf der Brockenkuppe hockte die Nebelspinne. Sie kroch über die dunklen Tannenhänge und weißen Schneeflecke und war bald bis auf unsere 800 Meter herunter gekommen, ließ sich noch weiter hinab und hängte ihre grauen Netze über die breite Fahrstraße. Man sah nicht die nahen Tannen. Das blaue und das gelbe Auto sausten wie ein Schatten vorüber. Dann war es ganz still.

     Als ganz einziger Gast hockte ich am Ofen, sah mit Interesse, was er alles hineinfraß, rauchte meine Pfeife, blätterte blöde im Buch, trank zwei Kognaks und einen Grog und rückte vom Ofen ans Fenster. Ja, da war die Nebelspinne. Der Förster ging vorbei. Er hat einen grünen Rock an! dachte ich. Von Nachbarhotel kam der Ober herüber und sprach gelangweilt mit dem Wirt, drehte sich nach mir um und gähnte verstohlen. Ich auch. Es fror mich am Fenster, und ich rückte wieder an den Ofen.

     „Wo haben Sie denn die Veilchen her?“

fragte der Wirt.

     „Hat vorhin wer liegen lassen.“

     Ein süßer Duft spann durchs Zimmer. Eine unbändige Sehnsucht nach Blühendem packte mich. Ich fuhr in den Mantel und ging hinaus. Gegenüber liegt ein Sommerhaus auf fahler Wiese, an deren Gaiter ein Schild hängt: Zutritt verboten! Ich guckte scheu nach meinem Gasthaus zurück. Man sah es kaum. Da stieg ich durch das Gatter und tappte vor das schlafende Haus, wo ein strammer, blühender Seidelbast stand, der einzige hier oben. Und kniete auf der nassen Wiese vor dem violetten Wunder, drückte das Gesicht hinein und ging davon.

     Und ich mußte in den Nebel, in den Fichtenernst, über den verkrusteten Schnee des Weges singen: Frühling läßt sein blaues Band –, Hugo Wolf! Und ein Lerchenhimmel schwirrte blau-silbern auf!



Obfuhr of dr Ruschelbahn.
Von Erich Mehlig, Lautenthal.


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