Seite:Hermann von Bezzel - Der Beruf der evangelisch-lutherischen Kirche zum Amt der Diakonie.pdf/11

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hinübersieht in das Reich der Vollendung, hat auch wieder ihre Gefahren, weil sie die Fühlung mit der Wirklichkeit verliert. Es sind das jene eigentümlichen Erscheinungen, welche in der alten Kirche mit dem Namen Montanismus und Donatismus, in unseren Tagen mit dem des Irvingianismus und Perfektionalismus bezeichnet werden.

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Jene Richtungen, welche die Vollkommenheit des Christen in diesem Aeon betonen, übersehen, daß wir hier noch im irdenen Gefäße unsere Schätze tragen und auch diesen irdenen Gefäßen in dieser Leiblichkeit untergeordnet sind. Die realistische Richtung ist eine diesseitige und verliert das Streben über sich hinaus zu höherer Vollendung. Die idealen Richtungen sind Richtungen der Jenseitigkeit, um dies schlechte Wort zu gebrauchen, und dienen damit auch nicht der Wirklichkeit. Die Ideale sind groß und edel und machen denen, die ihnen huldigen, Ehre; aber nützen werden sie nimmer an sich, nützen kann nur eine Richtung, welche das Ideale ins Reale umzusetzen vermag, welche die gegebene Ansicht nicht als bleibende noch notwendige, wohl aber als zu heiligende ansieht. Nicht alles, was ist, hat auch das Recht, zu sein. Die Sünde ist; aber wir haben die Aufgabe, ihr das Recht zu sein, zunächst an unserm eigenen Leben abzuringen bis aufs Blut, unsern alten Menschen zu entkräften in der Gewalt Dessen, der uns erlöset hat. Dies ist die rechte Verbindung von Idealem und Realem, von dem, was droben, und dem, was hienieden ist. Ein neuerer Dichter (Scheffer) sagt: „Es stirbt der Mensch an seinen Göttern“, an seinen Idealen. Ja wenn die Ideale sterblich sind, von der Erde kommen, so sterben die mit, welche ihnen dienen. Wenn die Ideale nichts anders sind, als durch eigene Imagination, durch eigene Phantasie gesteigerte Realitäten, nichts anders, als die öde Wirklichkeit, der wir einen verklärenden Schimmer aufgelogen haben, dann sterben wir an diesen Idealen. Wenn also Ideale sich aus der Bewegung selbst ergeben und nicht über