Seite:Hermann von Bezzel - Der Beruf der evangelisch-lutherischen Kirche zum Amt der Diakonie.pdf/48

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werden. Es ist tiefes Weh, daß eine stiftungsgemäß lutherische Hochschule (Göttingen) einen ursprünglich treuen Lutheraner (Albrecht Ritschl) entsandt hat, der mit seiner Kunst das Wort aushöhlt, umdeutet, in dasselbe einlegt, es herausreißt aus seinem Zusammenhang, den ganzen unzerteilten Christus ertötet, die großartige Konkordanz der hl. Schrift in eine wirre und schrille Disharmonie auflösen will. Man will das Wort, man will den großartigsten Bau Seiner Gnade, den natürlich nur das geistliche Auge erschaut, während der natürliche Mensch sich daran ärgert, zerstören, indem man das ihn schmückende Kreuz herunterreißt. Weil wir alle Dinge nur nach unserer Empfindung von ihnen beurteilen können, sagt Ritschl, können wir weder von Christi Persönlichkeit noch den Tatsachen Seines Heiles noch Seiner jetzigen Beziehung zur „gläubigen“ Gemeinde etwas Bestimmtes aussagen. So muß die Lehre von der Vorweltlichkeit Jesu, Seinem sühnenden Opfer, Seinem Walten in der Kirche, Seinem Liebesverkehr mit dem einzelnen Gläubigen dahinfallen. Ein System ohne die Schrift und über der Schrift! Keine Seinsurteile, sondern Werturteile je nach Umstand und Bedarf der Gemeinde. „Gott ist unerreichbar fern, ohne Zorn und Mitleid, beherrscht von einem ewig starren (!) Liebeswillen, dessen Offenbarer Christus, urbildlich als Mensch treu bis in den Tod.“ So lehrt die Unfehlbarkeit des „Ich.“ Während der Feind vor den Toren steht, wird mit tiefem Ernst und hoher Gründlichkeit die hl. Schrift in ein Trümmerfeld umgewandelt, auf dem nur noch einzelne Säulen von entschwundener Pracht zeugen, ohne daß jemand zu sagen vermöchte, ob nicht auch diese noch über Nacht bersten. – Die Geschichte der Kirche wird zum Tummelplatz aller Philosophen und Kritiker umgedichtet, und griechische Weisheit und christlicher Glaube sollen nun das Geheimnis vom Gekreuzigten „fixiert“ haben. Daher jenes lähmende Mißtrauen gegen die Kirche, jene souveräne Mißachtung ihrer Gebote,