Seite:Hermann von Bezzel - Einsegnungsunterricht 1892.pdf/51

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wird, dann haben wir das Recht, rechte Barmherzigkeit zu üben, d. h. den Vorhang der Illusionen wegzuziehen und zu sagen: „So, dahin führt es.“ Man erschöpfe sich in der Fürbitte, im Troste, in liebender Umfassung der Eigenart des andern; aber wenn man des gewahr wird, daß die Barmherzigkeit Schwäche wird, dann wird uns der HErr auch Kraft geben, die größte Barmherzigkeit zu üben.

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 „Wie oft habe Ich dir Barmherzigkeit erzeigen wollen, und du hast nicht gewollt; dein Haus soll dir wüste gelassen werden, weil du die Gnade machst zu einem Deckmantel der Schlechtigkeit.“ Dann haben wir nicht bloß das Recht, sondern die Pflicht, diesen Deckmantel wegzureißen. Damit haben wir aber keine Härte, sondern die größte Barmherzigkeit geübt. Wenn ich einen Menschen an dem Abgrund stehen sehe, so habe ich doch die Pflicht, ihn mit der stärksten Macht zurückzureißen, und wenn er sich darunter bäumt. Nur ja keine falsche Schwäche! Lassen Sie sich von solcher Barmherzigkeit nicht blenden. Es ist Grausamkeit, wenn einer am Abgrunde steht, nur um ihm, vielmehr um sich nicht wehe zu thun, ihn nicht wegzureißen. Diese Fragen sind sehr praktisch: da muß uns allen der HErr das Auge schärfen. Zuerst hoffen, nicht zuerst zufahren! Denken Sie, welche Geduld der HErr mit Ihnen hat! Was in der Gemeinschaft vorgeht, soll nicht immer gleich veröffentlicht werden. Das wäre ein Profanieren der inneren Geheimnisse und ein Kompromittieren des Mutterhauses. Es ist nichts schrecklicher, als wenn von Lokalvorständen Klagen über Dinge kommen, die nur innerhalb des Mutterhauses besprochen werden sollten. Das ist Sünde gegen das vierte Gebot. Es ist das auch kein feines Lob, wenn man von einer Schwester sagen muß: „Diese Existenz konnte sich auswärts nicht halten.“ Tragen und vertragen Sie! Vergeben Sie, solange sie merken, daß auf der anderen Seite diese Taste anklingt. Wenn es aber als Schwäche und Deckmantel aufgefaßt wird, dann steht das Wort: „Wer seinen Bruder strafet, der hat sein Leben vom Verderben errettet.“ Wo das Feuer der Liebe nicht heilt, da soll das Eisen heilen, das will