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Sylben vermeidet[1]; dagegen hat er sich die ängstliche Regelmässigkeit der isokrateischen Periodisirung nicht aufgezwungen; gerade durch κόμματα wirkt er oft überwältigend. Eben durch seine Rhythmik ist er der specifisch hellenische Meister der erhabenen Kunstrede geworden, denn die Rhythmen konnte selbst Cicero nicht imitiren. Auf die Schlüsse der Glieder und Sätze hat er hohen Werth gelegt, aber mit Freiheit, und selbst die Paeone oder den Schluss Kretiker und Spondeus hat er wohl mehr unbewusst gewählt als mit Bedacht gesucht.[2]

In der hellenistischen Rhetorik, die Demosthenes und Isokrates gleichermaassen als Vorbilder überkam, strebte man danach, beider Vorzüge zu vereinen, und die rhythmische und musicalische Wirkung zugleich zu erzielen: die Gefahr war damit gegeben, dass die Rede wirklich ἔμμετρος würde. Das klar in seiner Wirkung zu beurtheilen, müssten wir vollständige Proben der Beredtsamkeit besitzen. Der Vorwurf wird ja oft erhoben. Ferner mussten die Bhetoren auf der Bahn des Thrasymachos und Aristoteles fortschreitend bestimmte, besonders belobte Rhythmen für die correspondirenden Glieder der Periode empfehlen und anwenden, was dann monoton ward. Norden hat das an dem heiligen Gesetze des Antiochos von Kommagene gezeigt, das wohl jeder, der diese Studien selbständig aus den Quellen treibt, so verwerlhet hatte. Da herrschen die Clauseln –⏑––⏑, –⏑–⏑, –⏑– –⏑– mit den wenigen Abwechselungen, die durch Auflösung einer Länge entstellen. In der That eine Illustration zu der Monotonie, die Cicero dem Menekles nachsagt. Immerhin wird, für mein Gefühl wenigstens, der gewollte Eindruck der Feierlichkeit und kirchlichen Salbung erzielt. Ich weiss nicht, wie mau den Bombast unserer Doctordiplome ertragen kann und auf Antiochos als ‚Asianer‘ mit Steinen werfen.

Zu Demosthenes Zeiten hatte die periodisirte Rede, die κατεστραμμένη, wenigstens die erhabene Prosa so sehr beherrscht, dass sie die einzig mögliche schien. Aber es konnte nicht ausbleiben, dass daneben die εἰρομένη sich regen musste, wäre es auch nur


  1. Die Entdeckung dieses Gesetzes (wenn auch der Name Gesetz unzutreffend ist) ist ein grosses Verdienst von Blass, um so wichtiger, als Demosthenes keinen Nachfolger gefunden zu haben scheint.
  2. Von der platonischen Kunst, die in lebendiger Rede und in jeder Stilisirung vom ganz naiven Geplauder bis zum Wetteifer mit der Poesie gleich vollkommen ist, darf in diesem Zusammenhange nicht die Rede sein.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_035.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2019)