Die gegenwärtige Vorstellung ist nun freilich in ihrer Art nur noch ein roher und unvollkommener Versuch. Indessen macht derselbe doch schon sichtbar, was aus der Sache werden kann, wenn sie mit der möglichsten Sorgfalt und Genauigkeit ausgeführt wird. Man hat die zu Ritters Erdkunde gehörigen, von Schmidt gezeichneten, allerdings trefflichen Karten, wie der Verfertiger selbst angibt, dieser Arbeit zum Grunde gelegt. Wenn auch der verhältnißmäßig viel zu geringe Maßstab noch eine größere Genauigkeit erlaubte, so bleibt es doch im Grunde nur eine Copie von einer Copie, welche hier ohngefähr mit der nämlichen Schwierigkeit verbunden ist, als wenn man nach der bloßen Zeichnung eines Kopfs, ein individuelles Menschenantlitz plastisch in fester Masse mit vollkommener Ähnlichkeit darstellen wollte.
Allen Hypothesen über die Erdenbildung den Werth und Nutzen abzusprechen, würde ungerecht und lächerlich seyn. Dieser bleibt unbestritten, wenn sie nämlich von den ewigen und unveränderlichen in die Natur der Dinge gelegten Gesetzen ausgehn, und nur diese zur Grundlage ihres Gebäudes machen. Allein auf der andern Seite bleibt es eben so nothwendig, den Satz: non fingedum sed experiendam, quid natura faciat, stets vor Augen zu haben, und alle Hypothesen an den Probierstein einzelner sorgfältig und ohne Vorurtheil gemachter Erfahrungen zu halten. Das Werden kann nie anders als aus dem Gewordenen mit einiger Sicherheit erklärt und bestimmt werden. Je genauer man folglich das Gewordene in seinem ganzen Zusammenhange, und so vielseitig als möglich kennt, um desto mehr wird es möglich seyn, die Ursachen des Gewordenen mit Zuverlässigkeit zu erspähen.
Dieser Ueberblick im Ganzen wird aber ganz offenbar nur durch solche plastische Vorstellungen der Erde oder einzelner Theile ihrer Fläche in einem gewissen Grade erreicht werden können. Wenn man z. B. die Ufer der Elbe nach einem nicht allzukleinen Maßstabe, etwa von Leutmeritz oder Außig an bis gegen Dresden oder Meissen, nach der von mir bezeichneten Idee, die hier zum Theil schon ausgeführt ist, so modellirte, daß das Flußgerinne der Elbe mit dem auf bestimmte Distanzen ausgemittelten Fall derselben als Basis, angenommen, die Ufergebirge an beiden Seiten an diese Basis mit genauer Bezeichnung der sorgfältig gemessenen Höhen und der Abdachung und Gestaltung der Gebirge angereihet, und hierbei noch die inneren geognostischen Verhältnisse möglichst berücksichtiget würden, so mußten sich hierdurch nicht nur die Urgebirge von den Formationen der späteren Flötz- und aufgeschwemmten Gebirge bestimmt und scharf absondern, sondern es würden sich auch die Perioden und Reihenfolgen der Entstehung und selbst die Art derselben mit demjenigen Grad von Wahrscheinlichkeit ausmitteln lassen, dessen unsere beschränkten Kräfte überhaupt fähig sind. Man kann annehmen, daß auf jedem Extreme überhaupt und fast ebne Ausnahme der Fluch des Irrthums ruht. Die sich einander entgegenstehenden geologischen Systeme der Vulcanisten und Neptunisten können schwerlich einen anderen und sicherern Vermittelungspunkt finden, als die vorurtheilsfreie Erfahrung in einzelnen Fällen, und überhaupt genommen. Zwar pflegen sich beide Theile nicht selten mit gleich scheinbaren Gründen auf dieselbe zu berufen. Aber zum Spruche des höheren Tribunals der Wahrheit, welches die Gründe beider Theile entscheidend wägt, scheinen doch bei weitem noch nicht vorurtheilfreie und sichere Erfahrungen vorhanden zu seyn.
Ich ende diesen langen Brief, der mit einer Schilderung von Werken der Kunst, – also von durch menschliche Phantasie und Gefühl anschaulich veredeltem und vergeistigtem Stoff anhob, und der mit geologischen Bemerkungen, folglich mit Betrachtung der rohen Masse, an welche sich unsere ganze Existenz knüpft, schließt, mit der Bemerkung, daß der Wasserstand der Elbe seit vielen Jahren nicht so niedrig gewesen ist, als in diesen Tagen. Das Wasser steht an dem hiesigen, an der Brücke angebrachten Elbhöhenmesser 2 Schuh unter 0, und erreicht hierdurch den Wasserstand , den man als den möglichst niedrigsten angenommen hat. Wirklich scheint die Natur durch dieses Phaenomen den Verdampfungs- Verdünstungs- und Verminderungsprozeß des Wassers, welcher an der Tagesordnung ist, und für den ich leider, wie Sie wissen, selbst Partey genommen habe, einigermassen zu begünstigen.
Tauscher: Bericht über die Kunstausstellung in Dresden 1820 usw.. Friedrich Tempsky, Prag 1820, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hesperus_1820_Kunstausstellung_in_Dresden.djvu/6&oldid=- (Version vom 16.11.2024)