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Meine Vorliebe für meinen jungen Freund, die mit jedem Tage, mit jeder Stunde des Beisammenseins wuchs, war viel zu groß, als daß es mir nicht ein Vergnügen hätte machen sollen, alle Welt im Dunkeln tappen zu sehen, und ich begnügte mich mit halben Andeutungen, die das Räthsel nur immer komplizirter machten. Denen, die ihn für einen Phlegmatiker hielten, hätte ich freilich sagen mögen: „So gebt doch nur acht auf seinen fast unmilitärisch raschen, leichten, elastischen Gang und darauf, wie selten jemand mit ihm Schritt halten kann!“ Und denen, die ihn herzenskalt oder blasirt nennen wollten: „Seht ihn nur einmal mit dem Söhnchen seiner Wirthsleute spielen und hört zu, wenn er dem kleinen, wißbegierigen Wildfang geduldig seine Fragen beantwortet!“ Aber dann dachte ich immer wieder: „Wozu auch – ihr habt ja selber Augen und Ohren!“ Nur ein einziges mal hörte ich ein fast ganz zutreffendes Urtheil, und zwar aus dem Munde eines falkenäugigen, eisgrauen Artillerieobersten, dessen Schweigsamkeit berühmt war. Als verschiedene Väter von der kostspieligen Leichtlebigkeit und den noblen Passionen ihrer Söhne sprachen und jemand mit einem leichten Seufzer des exemplarischen Wandels des „rasselosen“ Oberleutnants v. Blenkheim gedachte, meinte der Alte:

„Ach was, alles, was Ihnen an Ihren jungen Herren nicht paßt, steckt auch in dem, vielleicht in stärkerem Grade. Glauben Sie nur ja nicht, daß der keine Rasse hat. Aber er hat sich selber in der Gewalt, wie ein edles, feuriges Pferd, das dem leichtesten Schenkeldruck, dem leisesten Anziehen des Zügels gehorcht und das ein Laut aus der zierlichsten, gemessensten Gangart in gestrecktem Galopp versetzt. Laßt ihn einmal dahin kommen, daß er sich selber die Zügel schießen läßt, und ihr sollt etwas erleben!“

Ich bekam allen Respekt vor dem Scharfblick des alten Herrn, aber ganz erschöpfend war seine Charakteristik doch nicht. Soll ich euch ein Resumé aller meiner Beobachtungen geben, so läuft es darauf hinaus, daß dieser junge Mann eine tief-leidenschaftliche, eine stock-exzentrische Natur war. Aber neben dem tiefen, weichen, reizbaren Gefühl, das in seiner Stimme vibrirte, wenn er etwas Rührendes las (er that das deshalb auch nur ungern, und die schöne Scham, mit der er sich verstohlen die feucht gewordenen Augen trocknete oder die überwältigende Erregung hinter einem Scherz zu verstecken suchte, hatte fast etwas Weibliches), besaß er einen kritischen Verstand, eine ungewöhnliche Beobachtungsgabe und infolge dessen, unterstützt von einem merkwürdigen Feingefühl, eine tüchtige Dosis Menschenkenntniß, die ihn vor vielen Jugendthorheiten behütete. Der ganze Mensch war überhaupt ein großes Kompromiß – im besten Sinne. Die widerstreitenden Kräfte seiner Seele waren so sorgfältig gegeneinander abgewogen und ins Gleichgewicht gebracht, er hatte beschnitten, was zu wild und üppig wuchern wollte, er hatte nach Kräften begünstigt, was in der Entwicklung zurückgeblieben war, er kannte sich so gut und war so aufmerksam auf sich selbst und so wachsam seinen Lieblingsneigungen gegenüber, es lebte ein so starkes Pflichtgefühl in ihm, daß ihm in keiner Hinsicht ein Vorwurf gemacht werden konnte und sein ganzes Wesen in seiner schönen Harmonie ein stürmeloses Leben zu verheißen schien. Diese Harmonie prägte sich auch in seiner ganzen äußeren Erscheinung aus, in jener undefinirbaren Weise, welche die Frauen so rasch fühlen und nur wir Künstler sogleich sehen. Nur wenig über mittelgroß, war er weit eher von zartem, als kräftigem Bau, die kleinen, weißen Hände wußten aber nicht blos ein feuriges Pferd zu regieren, sondern auch das Ruder energisch zu führen, so muskulös waren die Arme; so hatten auch alle seine Bewegungen nichts Hastiges oder Steifes, sondern die Rundung und Weichheit, die sich so gut mit vollendeter Sicherheit verträgt, und das regelmäßige Oval des Kopfes saß auf einem schlanken, aber vollen und kräftigen Nacken so stolz und sicher, wie das sonst nur die Gewohnheit, zu befehlen, erzeugt. Körperliche Uebungen aller Art und eine nie das vernünftige Maß überschreitende Abhärtung hatten aus dem vielleicht eher zur Verzärtelung neigenden Körper alles gemacht, was sich nur aus ihm machen ließ, und nur eine charakteristische Schwäche hatte er nie ganz zu besiegen vermocht – eine Neigung zum Schwindel. Er konnte nicht lange von Thurmeshöhe herabblicken, ohne von dem dämonischen Verlangen beschlichen zu werden, sich übers Geländer hinabzustürzen, und als wir einst längere Zeit von einer Brücke in das Schäumen und Kochen eines Wehrs hinabgeblickt hatten, meinte er plötzlich: „Lassen Sie uns gehen, – wenn ich noch zehn Minuten da hinuntersehe, muß ich wohl oder übel hinabspringen. Jede Tiefe lockt mich und alle Willenskraft vermag nichts über diese verhängnißvolle Anziehungskraft – ist das nicht wunderlich?“ Diese Eigenheit frappirte mich, weil ich mir sagen konnte: „Sieh da, also hat nicht blos dein seelisches, sondern auch dein physisches Wesen seinen wunden Punkt! Es

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Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_37_13.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)