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Ich wohnte in einem hufeisenförmigen, sehr großen Hause auf dem äußersten linken Flügel im obersten Stock und hatte ein vis-à-vis, über das sich ein Stein hätte erbarmen mögen. Hätte es mir in meiner Behausung nicht gar zu sehr gefallen, ich wäre ausgezogen – rein aus künstlerischem Ingrimm über die beiden Prachtexemplare von Evatöchtern, die ich täglich und stündlich vor Augen hatte, zwei alte Jungfern in des Wortes verwegenster Bedeutung. Die eine war brand- und prasseldürr, so dürr, daß man ihre Schulterknochen unbedenklich zum Aufhängen von Paletots hätte benutzen können; die Schwester hatte sich des Kontrastes halber eine Fleischlichkeit zugelegt, die jeder ihrer Bewegungen etwas Wogendes gab – kurz, sie waren „wüst“ bis zur Polizeiwidrigkeit. Aber schmutzig und liederlich waren sie und von einer Frömmigkeit, die den Verdacht erweckt haben würde, daß ihre Jugend keineswegs normal verlaufen sei, wären sie nicht so abgrundhäßlich gewesen und hätte sie die Mutter Natur nicht gleich in der ersten Anlage rettungslos verpfuscht. Sie schienen Stammgäste in der Kirche der kirchengesegneten Moldaustadt zu sein, so oft sah ich sie mit Gebetbuch und Rosenkranz ausrücken, ein Bild der sieben magern und sieben fetten Jahre, wie es die ausschweifendste Phantasie drastischer nie hätte ersinnen können.

Ihr könnt euch die angenehme Ueberraschung denken, mit der ich eines Tages von meiner Wirthin vernahm, daß die beiden „Bigottischen“ drüben das Feld räumen würden. Sie waren nämlich merkwürdig gut beschlagen unter der Nase, die beiden, ihre Nagelverhältnisse waren die denkbar günstigsten, und all ihre Kirchgänge hatten nicht vermocht, die angeborene Säure und Galligkeit ihres Naturells zu christlicher Milde und Geduld zu läutern; infolge dessen waren sie mit dem Hausmeister, einem alten Windischgrätz-Dragoner, in Händel gekommen, bei denen es zuletzt sehr heiß hergegangen sein muß, denn der alte Schnauzbart hatte zwar schließlich siegreich das Feld behauptet, er soll jedoch unverbürgten Berichten zufolge in seiner Stammkneipe gestanden haben, daß ihm während des ungarischen Aufstandes, als ihm die Lassos der verfolgten wilden Esikosreiter auf öder Puszta bedenklich um die Ohren schwirrten und ihn jeden Moment vom Pferde zu reißen drohten, auch nicht schwüler zu Muthe gewesen sei, als während dieser Affäre. Die nächste Folge dieses Treffens war natürlich, daß den streitbaren Jungfrauen schleunigst das Quartier gekündigt ward. Das war nicht lange nach der Zeit, in der ich Curt v. Blenkheim näher kennen lernte; dann stand die Wohnung eine zeitlang leer und nur die Köpfe von Maurern und Tapezierern ließen sich zeitweilig an den Fenstern blicken, bis eines Tages blüthenweiße Gardinen an den Fenstern erschienen und vor denselben eine ganze Flora von blühenden Topfgewächsen den Wechsel des Regimes auf das nachdrücklichste illustrirte. Ich dachte an eine stille, peinlich akkurate alte Lehrer- oder Beamtenwittwe, war also nicht wenig erstaunt, am nächsten Morgen ein direkt schönes, schlankes, hochgewachsenes Mädchen die Blumen begießen zu sehen. Mich frappirte zunächst die prächtige Figur; wir Knirpse schwärmen ja immer für die großen Figuren, obgleich wir uns neben ihnen so urkomisch ausnehmen; zudem ist es ja für unsereinen Beruf, zu Wasser und zu Lande, bei Tag und bei Nacht hinter der Schönheit her zu sein, es kann mir also nicht verübelt werden, daß ich das Opernglas hervorsuchte und meine schöne Nachbarin bei ihrer Arbeit beobachtete, wenn auch nicht, wie ein beliebiger Laffe, in auffälliger Weise, sondern bescheidentlich vom Hintergrund meines Zimmers aus. Ob sie es bemerkt hat – Frauenaugen sehen bekanntlich alles – weiß ich nicht; jedenfalls nahm sie keinerlei Notiz von mir und schien nicht die geringste Ahnung von der Existenz eines kleinen, schon mit bedenklich hoher Stirn ausgerüsteten, unansehnlichen Leinwandverderbers zu haben, der auf dem besten Wege war, sich trotz seiner gesetzten Jahre Knall und Fall in sie zu verlieben. Als die Blumen gelabt waren, kamen die Vögel an die Reihe, die eine allerliebste, architektonisch allerdings etwas bizarr gedachte Volière bevölkerten – ein Schweizerhäuschen mit Seitenflügeln und einem Glockenthürmchen. Der übliche Kanarienvogel schien keine Anziehungskraft für meine Nachbarin gehabt zu haben; alle ihre Vögel waren Exoten – Astrils, Sepiafinken und ähnliche kleine Vögelchen mit kirschrothen und lichtblauen Schnäbelchen; ich konnte deutlich erkennen, wie die grauen Astrils mit dem rosigen Anflug am Unterleib das Schwänzchen wagerecht wippen ließen, ähnlich wie unsere Bachstelzen dies senkrecht thun, und wie sie es dann fächerförmig ausspreizten. Aber viel wichtiger war mir die Hand des Mädchens, eine Hand von so tadelloser Schönheit, daß sie recht gut als Pendant zu dem berühmten Fuß der rauch’schen Viktoria, der in einem guten Abguß dort unter der Glasglocke steht, gelten konnte. Wenn ihr wüßtet, wie selten eine wirklich schöne Hand ist, wie häufig die Hand selbst für die größten Maler einen Stein des Anstoßes gebildet hat,

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_38_16.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)