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Herz verloren hatte. Wir waren noch lange nicht am Ziel, da sagte ich mir in selbstloser, neidloser Freundschaft: ‚Die beiden Menschen gehören zusammen, von Rechtswegen, sie sind einander werth und sie sollen zusammenkommen, um jeden Preis und unter allen Umständen, und was du dabei thun kannst, wirst du thun.‘ Dieser Entschluß, für den ich nicht etwa das Prädikat ‚edelmüthig‘ beanspruche, sollte bald auf die Probe gestellt werden. Der kurze Wintertag neigte sich schon seinem Ende zu, als wir das abseits von der Landstraße liegende auch im Sommer wenig besuchte Dörfchen erreichten, welches das Ziel unserer Fahrt war. Curt hatte im voraus ein Zimmer bestellt, das denn ganz behaglich durchwärmt war, wir bekamen einen extrastarken, heißen Kaffee und das Blut rollte mir bald wieder rasch durch die Adern; ich hatte, um mich noch mehr zu animiren, ziemlich viel Cognac zugesetzt und als Curt Mantel und Mütze nahm, um auf eine Viertelstunde zu dem dicht bei dem Dorfe wohnenden Förster zu gehen und wegen einer zwischen ihnen verabredeten Jagdpartie nochmals Rücksprache mit demselben zu nehmen, erschien mir meine Aufgabe gar nicht mehr so schwierig. Curts Absicht war unverkennbar, viel Zeit war nicht zu verlieren und so stürzte ich mich denn kopfüber in mein Unternehmen und fragte, nachdem ich einige male im Zimmer auf und ab gegangen war, ohne Leontine dabei anzusehen (sie saß am Ofen und stemmte die kleinen, schmalen, wohl noch etwas starren Füße gegen den Kohlenbehälter und schien in Gedanken versunken):

„Sagen Sie, mein Fräulein, würden Sie einem aufrichtigen Freunde Curt v. Blenkheims, der auch für Sie die höchste Achtung empfindet und Ihnen alles Gute wünscht, eine Frage beantworten, die zwar etwas indiskret ist, die aber dafür das Lebensglück unseres gemeinschaftlichen Freundes betrifft?“

Sie sah wie aus einem Traum erwachend erstaunt auf, errieth jedoch sofort meine Absicht und erwiderte ruhig und sanft:

„Die Frage wird wohl so indiskret nicht sein; Sie wollen wissen, warum ich allen Anspielungen des edelsten und bravsten aller Menschen auf einen Ehebund zwischen uns ausweichende Antworten und die Bitte entgegensetze, daran nicht zu denken, überhaupt keine Pläne zu machen?“

„Ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir alle Präliminarien sparen, indem Sie die Frage so scharf und klar formuliren –“

„Man wird sich immer klar und bestimmt ausdrücken, wenn man sich selber klar ist und das bin ich – leider.“

Das eine kleine Wort sprach sie wohl weniger zu mir, als zu sich selbst; es war auch mehr gehaucht als gesprochen, aber es lag so viel gramvolle Hoffnungslosigkeit in demselben, daß es mich fast entmuthigte. Dennoch fuhr ich fort:

„Sie geben mir also ein Recht zu der Frage – wollen Sie dieselbe auch beantworten?“

Sie sah einen Augenblick nieder und sagte dann leise und gedrückt, aber fest:

„Ich kann und werde nie die Frau Curts sein.“

„Aber Sie lieben ihn doch, so viel ich sehen und beurtheilen kann?“

Sie antwortete nicht, aber das ebenso gedankenvolle, als süße Lächeln, das auf ihre Lippen trat, sagte mehr als alle Worte und schien mich zu fragen: „Wie sonderbar du bist! Muß man ihn denn nicht lieben? Oder sollte es wirklich ein Weib geben, dessen Herz ihm nicht entgegenflöge?“

„Ich würde Ihr Lächeln gern als Antwort gelten lassen, aber wollen Sie Sich nicht direkter äußern?“

„Verzeihen Sie, daß ich die Antwort überflüssig fand; Sie können Sich nicht denken, wie selbstverständlich sie für mich ist. Aber es kostet mich auch nichts, Ihnen zu sagen, daß ich ihn liebe – wie er es verdient, mehr als mein Leben, und daß diese Liebe auch dann noch mein Glück und mein Stolz wäre, wenn sie nicht erwidert würde.“

Sie sagte das nicht pathetisch und schwungvoll, sondern so etwa, wie man einem Kinde eine recht einfache Sache erläutert, wobei man an etwas anderes denkt. Ich gestehe euch, ich war betreten; diese Antworten waren so verzweifelt kurz, bestimmt und klar und gaben mir doch ein peinigendes Räthsel auf. Ich fragte weiter:

„Sie lieben ihn also und ich weiß, er hat es ehrlich um Sie verdient –“

Sie legte mit einer anmuthigen, merkwürdig ausdrucksvollen Geberde die Hand aufs Herz und ihr Blick schien zu fragen: „Warum sagen Sie das mir?“

„Warum quälen Sie ihn?“ ergänzte ich meinen Satz. „Sehen Sie nicht, daß er sich physisch und moralisch aufreibt?“

„Man sagt mit Recht, das Auge der Liebe sei scharf – ich weiß nur zu gut, was an ihm zehrt, und es krampft mir oft das Herz zusammen, in seinen Augen zu lesen, in seiner Stimme mitklingen zu hören, was er schon nicht mehr sagen mag. Ich weiß, aus wie weichem, zarten Stoffe er gemacht ist und ich sehe auch ein, daß es nicht lange mehr so fortgehen kann.“

Sie sah mich nicht an, ihr Blick schien in eine endlose Ferne zu schauen und ihre Stimme klang düster und die Worte fielen schwer von ihren Lippen.

„Sie werden seinem Freunde einen vielleicht zu harten Ausdruck nicht verübeln; ist er nicht auch nach Ihrer Ansicht zu gut, das Opfer einer - ich weiß keinen besseren und milderen Ausdruck – einer Grille, einer Laune zu werden?“

„Grille und Laune! Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, das Schicksal könne zwischen uns stehen? Ich würde lächelnd jeden Tropfen Blut aus meinen Adern für ihn hingeben, wenn ich dadurch sein Glück erkaufen könnte, und vielleicht werden Sie bald schon – aber nein, Thaten sind mehr als Worte und der Tag, der jedes Räthsel löst, kann nicht mehr fern sein. Wollen Sie nicht so lange warten, ehe Sie über mich und den scheinbaren Widerspruch zwischen meiner Liebe und meiner Weigerung urtheilen und sollte es so gar schwer sein, bis dahin den Glauben festzuhalten, daß jeder Schlag meiner Pulse, jeder Gedanke meines armen Kopfes Liebe ist – reine, uneigennützige, opferfreudige Liebe, und daß Curt sich nicht wegwarf, als durch seine Liebe ein unaussprechlich glückliches Geschöpf aus mir machte?“

Sie war aufgestanden und ihre eine Hand stützte sich auf die Lehne des Stuhls; wir hatten kein Licht, nur das Feuer im Ofen warf seinen unsichern flackernden Widerschein auf ihr schönes Gesicht und die schlanke Gestalt und in dieser zweifelhaften Beleuchtung war sie so ganz „verwunschene Prinzessin“, daß ich mich schon halb entwaffnet fühlte; es war mir einen Moment, als blitze eine Thräne in ihren Augen, aber sie sah mir nicht aus wie weinen und ich weiß bis heute noch nicht, ob ich mich nicht getäuscht.

Die Unterredung war eigentlich zu Ende, dennoch sagte ich nach einigem Zaudern:

„Ich fühle nur zu wohl, daß ich nicht weiter in Sie dringen darf, dennoch gestehe ich Ihnen, daß Sie mich nicht beruhigt haben. Die Sorge um meinen Freund, den Sie bereits ganz aus sich herausgeworfen haben und dessen unstetes Wesen mich ängstigt, hat mir die Lippen geöffnet; sagen Sie selbst, ob ich seine Zukunft in rosigerem Lichte sehen darf, seitdem Sie mir einen Blick in Ihr Inneres gestattet?“

„Ich weiß, daß Sie frei sind von banaler Neugierde – aber seien Sie ohne Sorge um Curt. Sein Geschick liegt in meinen Händen und ich will nur sein Wohl; es schlägt kein Herz auf Erden – seine Mutter ist ja todt – das so ganz von ihm erfüllt wäre als das meine, und seit ich ihn kenne, habe ich nie mehr an mich und immer nur an ihn gedacht. Sollte darin nicht auch für Sie eine gewisse Bürgschaft liegen?“

Ich zauderte – durfte ich so viel zugestehen? War es denn sicher, daß sie sein Glück auch richtig verstand, daß die Logik des Herzens nicht fehlging? Sie errieth diesen Zweifel aus dem gepreßten: „Allerdings –“, zu dem ich mich endlich zwang.

„Sie wissen nicht recht, ob Sie mich fragen sollen: ‚Dürfen Sie Sich aber auch so unbedingt auf die Richtigkeit ihres Urtheils und auf die Lebensweisheit eines Mädchenkopfs verlassen?‘“

„Nun ja, es sei zugestanden, aber gestatten Sie mir die Bemerkung, daß ich betreten bin über die unfehlbare Sicherheit, mit der Sie meine Gedanken errathen.“

Wieder trat ein flüchtiges, trauriges Lächeln auf die schönen Lippen.

„Was ist da zu verwundern? Man denkt doch auch bei der stillen Arbeit vom Morgen bis zum Abend, und all dies Denken bezieht sich so ausschließlich auf den einen und auf das Gefühl, das er in uns geweckt, daß es eher zu verwundern wäre, wenn uns eine Seite des Gegenstands, ein Einwand, der uns vielleicht gemacht werden könnte, entginge. Ich könnte Ihnen zehnmal mehr sagen, als Sie mir zu sagen haben; ich habe in schlummerlosen Nächten alles, alles hundertmal erwogen, um so reiflicher erwogen, als das arme Herz sich verzweifelt gegen die Gebote des Verstandes wehrte und jeden Fußbreit Boden angstvoll vertheidigte. Ich weiß, ich irre nicht, hinter jeder meiner Handlungen

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_45_38.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)