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einmal die Russin Russin sein und versetzt euch, wenn es möglich ist, in die Stimmung, das Ende meiner trübseligen Geschichte zu hören und sowohl Curt als Leontine Ade zu sagen auf immerdar. Für mich sind sie schon zu Schatten geworden, wie sie in einsamen Stunden die Erinnerung leise herausführt, um uns durch sie an vergangene Tage zu mahnen und an Schmerzen, über denen längst Gras gewachsen ist.“

Man nickte schweigend Zustimmung, der Maler legte die Cigarre weg, fuhr sich mit der Hand über die Augen, überlegte einen Moment und begann dann in fast gedrücktem Tone:

„Der Morgen nach dem Unglücksabend im Engel wurde mir zu einer Ewigkeit; die Minuten dehnten sich zu Stunden und Curt ließ nichts von sich sehen und hören. Nach Tische kam er ins Café, nickte mir zu, brannte sich eine Virginia an und vertiefte sich in den „Punsch“, der ihn ungewöhnlich heiter zu stimmen schien. Ich sah ihn, schweigend meine ‚Melange‘ löffelnd, besorgt von der Seite an; er war eine Idee blässer, als sonst, kam mir aber im übrigen durchaus nicht aufgeregt, sondern gelassen und ruhig vor und nicht einmal nachdenklich und zerstreut, was doch so natürlich gewesen wäre. Nach einer guten Weile legte er das Blatt weg, machte eine unbefangene Bemerkung über das Charakteristische des englischen Humors, den er sehr liebte, blies die Asche von der Cigarre und sagte nachlässig: ‚Ich dachte Leontine erst heute Abend zu treffen, bin ihr aber zufällig in der Stadt begegnet und habe sie durch ein paar abgelegne, einsame Straßen der Kleinseite begleitet. Ich fragte sie so obenhin, ob unter denen, welche sie früher mit Zudringlichkeiten verfolgten, vielleicht auch ein Ulanenoffizier von Borkiewicz gewesen sei; sie nickte gleichmüthig und sagte mir, das sei grade der dreisteste und zäheste von allen gewesen. Er habe sich durchaus nicht überreden können, daß er ihr wirklich gleichgültig sei, und so habe er denn alle nur erdenklichen Minen springen lassen und sich wie ein Unvernünftiger geberdet, schließlich sei er einmal des Abends auf der Straße unverschämt geworden, sodaß ihr nichts übrig geblieben sei, als ihn mit einer Ohrfeige zu bedrohen und den Schutz eines grade vorübergehenden Herrn anzurufen, der dem Offizier mit so ironischer Höflichkeit ein ‚Gute Nacht, Herr Oberleutnant!‘ zugerufen habe, daß sie wohl annehmen müsse, sie sei zufällig an einen Bekannten ihres lästigen Verfolgers gerathen. Derselbe habe sich darauf kurz auf dem Absatz umgedreht und sei verschwunden, von Stunde an aber habe sie Ruhe vor ihm gehabt und ihn erst bei der Schlittenfahrt wiedergesehen. Sie war dabei so unbefangen, so heiter sogar zuletzt, daß ich nun nicht den leisesten Zweifel mehr habe, daß Borkiewicz ein feiger und ehrloser Prahler ist, dem eigentlich keine Kugel, sondern die Reitpeitsche ins Gesicht gebührte. Es konnte ja auch nicht anders sein, - gäbe es wirklich faule Flecke in ihrer Vergangenheit, so hätte sie mich wahrhaftig nicht so lange getäuscht; davon hätte ich etwas gemerkt, aus ähnlichen Gründen, aus denen Gretchen ein Grauen vor Mephisto nicht überwinden kann.

„Ich athmete auf, – so gut mir Leontine gefallen hatte – der Teufel traue dem Frauenvolk unbedingt! Irgend etwas konnte doch an der Sache gewesen sein. Dann wäre sie aber, als Curt sie mit der Frage nach seinem Gegner überrumpelte, sicherlich nicht so unbefangen geblieben; ein wenig verfärbt hätte sie sich doch gewiß, eine leichte Verwirrung wäre doch bestimmt über sie gekommen und hätte Curts Verdacht wachgerufen; ich konnte seinem Scharfblick in dieser Hinsicht unbedingt vertrauen. Ich frage endlich nach dem Duell und ob schon eine Herausforderung erfolgt sei; das schien aber für Curt ein sehr untergeordneter Punkt zu sein, denn er erwiderte gleichgültig: ‚Ja, was denken Sie? Das ist heute früh alles verabredet und geregelt worden – noch vor dem Morgenkaffee. Die Geschichte wird auch möglichst beschleunigt werden, das Ehrengericht wird morgen seinen selbstverständlichen Spruch fällen und zwei Tage später – es kommt noch der Johannistag dazwischen, an dem sich der fromme Katholik nicht schlagen will – soll die Sache jenseits der sächsischen Grenze abgemacht werden. Da es kein Duell zum Spaße ist, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach einer von uns auf dem Platze bleibt, empfiehlt sich dieser Modus. Ich habe also noch ein paar Tage Zeit, an denen Sie mich freilich nicht viel sehen werden; ich bin zwar fest überzeugt, daß mir nicht einmal die Haut geritzt wird, aber der Zufall spielt oft wunderlich und man muß doch vorher Ordnung in alle seine Angelegenheiten gebracht haben; es gibt da allerlei zu verbrennen und zu zerreißen, Briefe, Schuldscheine und Jugendgedichte, und das kostet eben Zeit. Natürlich will ich auch möglichst viel mit Leontine zusammen sein, und Trelawney muß täglich ausgeritten werden, und eine Stunde jedes Vormittags nimmt der Schießstand in Anspruch; ich halte es zwar nicht für nöthig, aber mein Sekundant, der wahre Räubergeschichten von der ‚phänomenalen‘ Schießkunst des Wasserpolaken erzählt, besteht darauf, und da will ich ihm denn den Gefallen thun, damit die liebe Seele Ruhe hat. Wir haben heute angefangen, und er ist nun schon mächtig beruhigt, denn ich habe mit solcher Beharrlichkeit das Schwarze der kleinen Scheibe durchlöchert, daß er meinte, es müßte mit Kräutern zugehen, wenn ich dem großen, breiten Borkiewicz nicht ein Loch in den Korpus schösse. Er hat freilich den ersten Schuß als Beleidigter, und wenn nur halb so kaltblütig ist, wie ich, kann er mir schon einen Denkzettel für immer geben; doch Sie wissen ja, warum ich an die Sicherheit seines Auges und seiner Hand nicht glaube, seit heute noch weniger als vorher. Wie ist das übrigens, wollen Sie Sich nicht – Lebens und Sterbens wegen – noch eine Skizze von mir machen? Sie haben mich so oft gezeichnet, daß es Sie doch interessiren sollte, ein Bild zu haben, unter das Sie ‚Vor dem Duell‘ schreiben können; an der erforderlichen Geduld meinerseits soll es nicht fehlen, und auf alle Fälle ist das Bild eine kleine Reliquie.‘

„Ich sagte zu, aber es war mir wahrlich nicht so ums Herz, und Curts unnatürliche Gelassenheit ängstigte mich fast; ich sah wohl ein, daß dieser Seelenzustand nur eine Folge der heftigen Gemüthsbewegungen war, deren Beute er solange gewesen, der Ausfluß einer Gestörtheit des inneren Gleichgewichts, aber diese Thatsache war doch wenig geeignet, meine Sorge zu beschwichtigen und meine düsteren Ahnungen zu zerstreuen.

„Am nächsten Morgen kam er schon ganz früh zu mir – merkwürdig aufgeräumt, heiter und herzlich. Ich lag noch im Bett; er scherzte über meine Langschläferei und meinte dann: ‚Heute müssen Sie mir einen Gefallen thun, das heißt, ein paar befreundete Familien zusammentrommeln, die mit über Land fahren und ein kleines Waldfest mitfeiern; Sie kennen ja Leute genug und wissen, wer für Leontine paßt.‘

„Ich sah ihn erstaunt an. Er weidete sich lächelnd an meiner Ueberraschung und sagte dann in sichtlich gehobener Stimmung: ‚Es ist grade, als ahnte sie, daß für mich eine kritische Stunde kommt. Sie ist seit ein paar Tagen ganz eigenthümlich weich und innig, wie ich sie noch gar nie gesehen habe; sie läßt sich, scheint es, so recht gehen, und gestern Abend fragte sie plötzlich sanft und beinahe demüthig, ob ich wohl an einem der nächsten Abende einen kleinen Ausflug veranstalten wollte, am liebsten in den Wald; die Nächte seien jetzt so wunderschön, daß es eigentlich jammerschade sei, sie zu verschlafen, und sie wolle auch einmal ihren Sommernachtstraum haben. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dieser Wunsch und die Form, in welche sie ihn kleidete, mich rührten. Unendlich oft schon habe ich sie gebeten, mir doch einmal in irgend eine Gesellschaft zu folgen, die ganz mit Rücksicht auf sie zusammengesetzt werden würde, – sie wußte mir aber stets zu entschlüpfen und fragte in verstelltem Ernst, ob sie mir denn nicht mehr genüge, daß ich von Fremden spräche; wenn ich dringender ward, bat sie mit dem Tone, den ich noch stets unwiderstehlich gefunden habe, ihr das zu erlassen und sie nicht weiter zu bestürmen, und schließlich trug sie stets den Sieg davon. Ich wollte ja auch weiter nichts, als äußerlich dokumentiren, daß ich sie als meine Braut betrachte, daß es sich nach meiner Auffassung nicht um eine mit dem Schleier des Geheimnisses zu bedeckende, fragwürdige und vorübergehende ‚Liaison‘ handle; sie erkannte diese Absicht sehr wohl und ihr Widerstand gegen meine Idee bewies somit, daß sie entschlossen war, alles zu unterlassen, was mich in meinen Zukunftsplänen irgendwie bestärken konnte. Und nun nach so vielen abgeschlagenen Stürmen diese durch nichts motivirte Nachgiebigkeit! Ich bin wahrhaftig nicht optimistisch gestimmt, aber vielleicht ist man einigermaßen berechtigt, eine schwache Hoffnung auf diese Sinneswandlung zu bauen – die erste, die ich bei ihr entdecke. Wer weiß, vielleicht erzähle ich ihr nach dem Duell von demselben; wer kann wissen, wie es auf sie wirkt, daß ich mit Lebensgefahr ihre Ehre vertheidigt habe? Ich möchte fast wünschen, daß mir Borkiewicz ein paar Unzen Blut abzapft, – oder glauben Sie, daß ein Mädchen die Kraft hat, auch dem um ihretwillen verwundeten Geliebten die Hand zu verweigern? Wer weiß, vielleicht bezeichnet dieses mir aufgezwungene Duell einen Wendepunkt in meinem Leben, vielleicht vervollständigt es die Sinneswandlung bei Leontine, und dann sollte es mir gesegnet sein – vorausgesetzt, daß mir Borkiewicz’s Kugel nicht etwa das Lebenslicht ausbläst.‘

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_50_53.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)