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„Wunderlich! erst jetzt, wo ihm wieder ein rosiger Streif am Himmel der Zukunft aufdämmerte, erschien ihm auch ein für ihn verhängnißvoller Ausgang des Zweikampfs möglich. Ich ließ natürlich diese Reflexion nicht laut werden, sondern erwiderte, daß sein Kalkül viel für sich habe, daß mir seine Mittheilung eine große Freude bereite und daß ich natürlich alles aufbieten würde, die romantische Waldfahrt zu einer künstlerisch und poetisch ausgeschmückten zu machen; vielleicht könne er in dieser Juninacht der Geliebten das Jawort abschmeicheln, das sie bisher so hartnäckig verweigert – an sanfter Musik und bunten Lampions solle kein Mangel sein, es solle ganz traumhaft-magisch werden, und die Nachtigallen würden sicher die Freundlichkeit haben, ihre Beredsamkeit mit der seinigen zu vereinigen. Wir verständigten uns über die wenigen Personen, die eingeladen werden sollten, spezielle musikkundige Bekannte von mir mit ihren Damen; die Einladung sollte überhaupt von mir ausgehen und Curt wollte nur die Kosten tragen. Er ging auf die geringfügigsten Einzelheiten ein und nöthigte mich sogar, mir schriftliche Notizen zu machen, damit ja nichts vergessen würde. Bei aller romantischen Ungebundenheit sollte das kleine Fest einen gewissermaßen vornehmen Charakter tragen und die Kosten kamen dabei nicht in Frage; Leontine sollte ihren Gedanken eines ‚Sommernachtstraums’ voll verwirklicht finden, in höherem und schönerem Sinn, als sie sich träumen ließ.

„Ich gestehe euch, Kinder, die Augen wurden mir feucht, als ich den vielleicht zu so frühem Tode Geweihten mit peinlichster Sorgfalt seine Anordnungen treffen hörte, damit es der Geliebten nur ja an nichts fehlte, damit sie alles vereinigt fand, was sie gern hatte, was ihren Schönheitssinn erfreuen konnte. Diese Sorgfalt hätte unter Umständen etwas Bizarres haben können, in diesem Falle war sie nur liebenswürdig und rührend. Die Freude leuchtete Curt förmlich aus den Augen, wenn er sich wieder auf eine kleine feine Aufmerksamkeit besonnen hatte, und der Gedanke an die Stunde, in der er der Kugel eines erbitterten Gegners die Brust bieten mußte, schien in ihm zur Wesenlosigkeit verblichen zu sein. Es war mir ja auch recht sehr lieb, durch die mancherlei Zurüstungen, welche das kleine Fest seines aparten Charakters wegen erforderte, von meinen trüben Gedanken abgelenkt zu werden, ich verhieß also sehr lebhaft, alles zu besorgen und fügte, mich selber aufregend, hinzu:

„Ihre Verlobungsfeier soll mir Ehre machen – sie ist gewiß in den besten Händen.

„Curt lächelte, fügte aber, sofort wieder ernst werdend, hinzu:

‚Nun, wir wollen uns keine Illusionen machen! Übrigens wäre es ganz gut, wenn wir sie an diesem Abend so weit bringen könnten; hat sie nämlich erst einmal ja gesagt, so geht sie mit mir durch Feuer und Wasser und schwankt keinen Moment wieder. Und es wäre ganz hübsch, wenn ich dem Herrn Onkel gleich mit einer vollendeten Thatsache entgegentreten könnte, als welche bei mir schon eine Verlobung anzusehen ist – das weiß der Onkel ganz perfekt.‘

„Ich sah ihn fragend an; er lachte und meinte:

‚Ja so, das wissen Sie ja noch gar nicht! Für die ersten Tage der nächsten Woche ist mir nämlich Besuch aus Graz angesagt – mein Onkel, sein Kamerad unter Radetzky, dessen Frau Schwägerin und seine Fräulein Nichte, meine Frau Gemahlin in spe, wie die Herrschaften glauben. Das Komteßchen ist noch nie in Prag gewesen und soll Gelegenheit erhalten, sich einmal in der Kapelle auf dem Hradschin, die bekanntlich ein ‚echtes’ Bild des Heilands besitzt, vor ihrem Schöpfer zu demüthigen – das Kind soll nämlich nebenbei sehr fromm sein. Natürlich handelt es sich weit mehr darum, mir meine Zukünftige zu präsentiren und zu ermitteln, ob ich etwa das Unglück habe, ihr in Person weniger zu gefallen, als im Bilde. Onkel hat ihr nämlich, nach Soldatenart die Gelegenheit am Stirnhaar fassend, meine Photographie gezeigt, und als sie sich so günstig äußerte, als jungfräuliche Bescheidenheit und Zurückhaltung nur irgend zuließen, ist er mit der Thür ins Haus gefallen und hat sie gefragt, ob sie den hübschen wilden Bengel nicht zum Manne haben möge? Für sein gutes Herz verbürge er sich, Kopf habe der tolle Mensch fast mehr als ihm lieb sei und für das weitere würden er und ihr Onkel schon sorgen. Das Komteßchen ist freilich blutroth geworden, aber keineswegs in hysterische Zuckungen verfallen; es hat sogar ein ganz klein wenig geschmunzelt und den ‚Scherz’ gar nicht so übel gefunden; Sie sehen, ich kann zufrieden sein, und es liegt nur an mir, wenn nichts aus der korrekt eingefädelten Geschichte werden sollte. Aber gerade deshalb wäre es äußerst zweckmäßig, wenn ich sagen könnte: ‚Lieber Onkel, die Komtesse gefällt mit ganz ausnehmend und ich würde sie vermuthlich heiraten, wenn dem nicht ein ganz kleines aber solides Hinderniß im Wege stünde – ich bin nämlich bereits verlobt.‘‘

„Ich fand die Komplikation der Umstände beinahe unerträglich. Wie nun, wenn Curt Unglück hatte, wenn ihn Borkiewicz beim ersten Schuß tödtete oder wenigsten tödtlich verwundete und die vornehmen Herrschaften an seinem Schmerzenslager bereits eine weinende oder thränenlos verzweifelnde Braut fanden? Ich hätte darauf wetten mögen, daß diese Gedanken Curt ebenfalls schon gekommen waren, aber er schien entschlossen, sie weit von sich zu weisen, und unter den obwaltenden Verhältnissen war es gewiß das richtigste, ihn nicht aufzuregen; ich schwieg also, und er ging, nachdem ich versprochen, gegen Abend bei ihm vorzukommen und Rapport zu erstatten. Die mannigfachen Besorgungen, welche ich übernommen, neue Einfälle, welche mir kamen und wohl erwogen sein wollten, hielten mich den ganzen Tag in Athem, und es war schon ziemlich spät, als ich zu Curt kam. Er saß an seinem Schreibtisch und siegelte gerade einen Brief; nachdem er denselben in ein Fach gelegt, reichte er mir freundlich die Hand, schob den Stuhl zurück und meinte scherzend:

‚Nun; mein getreuer maître de plaisir – wie stehts? Alles besorgt?‘

„Er nickte befriedigt, als ich alle Einzelheiten durchgesprochen hatte, erklärte mir, daß nach allen Anzeichen auf gutes Wetter fest zu rechnen sei und sagte dann ruhig:

‚Auch alles übrige ist geregelt; wir reisen übermorgen früh um 8 Uhr ab und unsere Sekundanten – er nannte die Namen und den des sie begleitenden Arztes – suchen im einsamen Hochwald einen Platz aus, wo wir vor Ueberraschung gesichert sind; da das Duell am andern Morgen gleich nach Sonnenaufgang stattfinden soll, bleibt kaum Zeit, ordentlich auszuschlafen. Meine Privatangelegenheiten sind nun auch geordnet bis auf das Tüpfelchen über dem i, – ich habe Leontine das wenige vermacht, was ich zu vermachen habe, an die Meinen und an Onkel ist geschrieben und morgen soll nun noch das schwerste an die Reihe kommen, der Brief, der Leontine hoffentlich nicht übergeben zu werden braucht. Auch Sie muß ich noch in Anspruch nehmen – Sie sollen für die Zeit meiner Abwesenheit für meinen kostbaren Schatz mein Depositar werden, um ihn, wenn ich fallen sollte, an Leontine auszuliefern.‘

„Aus seinem Schreibtisch brachte er dann eine ziemlich große verschlossene Kassette aus Ebenholz zum Vorschein – der Deckel war in künstlerischer Weise mit purpurbraunen Gewürzstrauchweißen Jasmin- und zarten Geisblattblüthen bemalt, die nicht zu dichtem Strauß vereint, sondern nur wie lose darüber hingestreut waren.

‚Den Schlüssel hat Leontine,‘ sagte er fast weich; ‚die Kassette enthält alle ihre Briefe an mich und kleine Andenken an glückliche Stunden; in einem Seitenstück zu derselben bewahrt sie meine Briefe auf und die an sich wertlosen, mir durch irgend einen kleinen Bezug uns werthvoll gewordenen Kleinigkeiten, die sie von mir annahm. Sie war auch hierin von Anbeginn eigen bis zum Eigensinn, und ich habe sie nie vermögen können, etwas anzunehmen, was eigentlich Geldwerth hatte. Ich will Ihnen im übrigen für den schlimmsten Fall nichts an sie auftragen, Sie wissen, wie ich stets über sie gedacht und für sie empfunden habe und Ihr eignes Herz mag Ihnen dann lehren, was Sie ihr zu sagen haben.‘

„So plauderte er noch lange Zeit; als Jehan einmal im Zimmer gewesen war, sagte er mir, er habe den treuen, braven Menschen dem Wohlwollen seines Onkels empfohlen – von dem Duell wisse er natürlich nichts. Nie nahm er mich durch die Liebenswürdigkeit seines Wesens, die mir erst jetzt voll aufzublühen schien, so gefangen, wie an diesem Abend, und als er im Ton freundlicher Bitte sagte: ‚Nun müssen Sie aber gehen – ich darf Leontine doch nicht zum ersten male warten lassen!‘ und ich langsam und nachdenklich meiner Wohnung zuschritt, da klang es in mir, laut und überzeugt: Nein, es kann, es darf nicht sein! er wird nicht fallen – es wäre eine zu unerhörte Grausamkeit des Geschicks!“

„Ich sah empor zu Leontinens Fenster – sie waren dunkel. Sie war also auch schon fortgehuscht und vielleicht ruhte ihr Arm schon in dem des Geliebten. Wenn sie gewußt hätte, was ihm, was ihr bevorstand! –

„Es war ein wundervoller, stiller, warmer, aber nicht zu heißer Tag, der diesem Abend folgte und ich sah Curt an ihm

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_50_54.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)