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Rosenhandel, d. h. sorgen Sie dafür, daß L. bis heute Abend im Besitz eines Korbs voll der schönsten Rosen ist, die sich in Prag auftreiben lassen; ich möchte heute ihr ganzes kleines reizendes Heim mit süßem Rosenduft erfüllen. Sie haben nun doch Recht gehabt mit Ihrer Verlobungsidee – jetzt brauche ich nicht mehr zu bitten, jetzt muß sie wohl wollen und sie wird es mit tausend Freuden tun. Borkiewicz hat zunächst den Profit davon; ich bin zu weich und zu glücklich, um einem Menschen nach dem Leben zu trachten; ich werde nicht nach seiner Stirn, ich werde nur nach seiner Schulter zielen. Sehen wir uns nicht wieder, dann denken Sie wenigstens, daß ich im Rausch des Glücks und der Liebe die Augen geschlossen habe und besseres können wir uns alle nicht wünschen. Stehen Sie aber dann auch mit Rath und Tath nach Ihrem Vermögen bei dem Weibe, der Wittwe Ihres C. v. B.‘

„In meines Herzens unvernünftiger Freude schob ich Jehan förmlich aus der Tür hinaus und drückte ihm, der an so kavaliermäßige Akte der Freigiebigkeit von mir wahrhaftig nicht gewöhnt worden war, einen blanken Silbergulden in die Hand, kleidete mich mit einer fabelhaften Geschwindigkeit an und stürmte fort, halblaut monologisirend: ‚Teufelsjunge! wer hätte das gedacht! Was halfs aber? Nun wirds gleich gehen, nun werden die Bedenken auf einmal wie Spinnweben zerfahren. Es ist ein ewiges Glück, daß die Natur alles, was Menschenwitz und Menschenscharfsinn in Unrordnung gebracht und auf den Kopf gestellt haben, im Handumdrehen zurechtrückt und gebieterisch sagt: ‚So hat es zu sein – Punktum!‘“

„Der Tag ging mir wie im Traum hin; in der Abenddämmerung sandte ich das Körbchen voll Rosen mit meiner Karte, auf deren Rückseite ich geschrieben hatte, ‚Im Auftrage Curts‘, durch Jehan in Leontines Wohnung und er rapportierte mir dann im Café, daß er das Fräulein angetroffen und daß sie eine ‚unmenschliche‘ Freude über die Rosen gehabt habe, – so schöne habe er aber auch in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.

„Am nächsten Mittag war ich lange vor dem fahrplanmäßigen Eintreffen des Zugs auf dem Bahnhof; mein Blick flog mit Gedankenschnelle den Zug entlang, bis er an dem leuchtenden kirschrothen Kragen über dem blauen Wasserrock haften blieb; Curt hatte mich aber noch einen Moment früher herausgefunden als ich ihn und grüßte nun freundlich mit der Hand. Ich war, als der Zug hielt, früher am Coupè, als der Schaffner und Curt reichte mir die Hand heraus und schüttelte die meine kräftig; er strahlte im ganzen Gesicht und flüsterte mir leise zu: ‚Alles besorgt?‘ Ich nickte bejahend, die Coupèthür wurde aufgerissen, Curt ließ seinem Sekundanten den Vortritt und sprang dann elastisch aus dem Wagen.

‚Gesund und wohlbehalten, wie Sie sehen!‘ sagte er rasch und leise, ‚bis auf einen lumpigen Streifschuß in der linken Seite, genau genommen nur eine Schramme. Borkiewicz ist schlechter weggekommen – Schuß in die linke Schulter, wie ichs ihm zugedacht hatte; näheres nachher!‘

„Am Ausgang des Bahnhofs trat Curt mit seinem Sekundanten etwas beiseite; man schüttelte sich herzlich die Hände und dann nahm jeder einen Wagen und fuhr weg, während Curt zu mir zurückkam, seinen Arm in den meinen legte und neugierig fragte: ‚Nun, waren es denn auch die schönsten Rosen, die Sie finden konnten?‘ Ich versicherte ihm denn, daß die Frau Gemahlin des Herrn Statthalters und Landeskommandirenden von Böhmen am Abend vorher gewiß keine schöneren Rosen in ihrem Boudoir gehabt hätte, als die reizende Stickerin im Hufeisenpalais, und daß Leontine die duftige, farbenglühende Sendung auch mit eignen Händen und mit dem strahlendsten – Brautlächeln in Empfang genommen habe. Curt verstand mich und erröthete bis in die Schläfen, lachte aber dann und meinte: ‚Es ist wie ein Gewitter über uns gekommen, wie Sturm und Flut – und es ist ja gut, daß es so gekommen ist; nun kann sie nicht mehr zurück. An diese Möglichkeit hatten wir beide nicht gedacht; ich hatte wohl oft angedeutet, daß ich gern einmal einen Blick in ihr kleines Mädchenheim werfen möchte, aber ich sah selber ein, daß das vor der Hand für mich verbotener Grund war und nun können Sie sich wohl denken, wie es mich überraschte und rührte und erfreute, als sie gestern Nacht beim Abschiednehmen plötzlich den Kopf an meine Schulter legte und leise sagte: ‚Du hast schon lange wissen wollen, wie ich wohne, Curt – willst du mit herauf zu mir kommen?‘ ‚Aber nun – nicht weiter darüber reden, auch nicht einmal andeutungsweise!‘ bat er, aufs neue erröthend, und setzte dann, ablenkend, rasch hinzu: ‚Dieser Borkiewicz hat übrigens seine Verwunderung siebenfach verdient. Noch auf dem Duellplatz versuchten die Sekundanten mit meiner Zustimmung eine Aussöhnung auf der Basis gegenseitigen Widerrufs und rückhaltloser gegenseitiger Abbitte, er aber lehnte alles trotzig und finster ab und erklärte höhnisch, daß er keine Silbe von dem zurücknehmen könne, was er gesagt.‘ Wir fuhren gerade an meiner Wohnung vorüber – Curt warf halb verstohlen eine Kusshand hinauf nach Leontines Fenstern und ich hütete mich wohl, etwas davon zu bemerken; ich glaube, es hätte ihn ernstlich genirt.

„Als wir dann in seiner Wohnung anlangten, war seine erste Frage, ob Briefe gekommen seien; Jehan überreichte ihm etwa ein halbes Dutzend, er musterte flüchtig die Adressen, murmelte gutgelaunt: ‚Ah, der Onkel!‘ und dann: ‚O, das ist aber lieb!‘ und warf die Briefe bis auf einen, den er hastig öffnete, zur Seite. Ich hatte es mir in einer Sophaecke bequem gemacht, Curt trat an’s Fenster, um seinen Brief zu lesen und ich sah aus Diskretion geflissentlich von ihm weg. Plötzlich kam es wie ein unwillkürlicher Aufschrei von seinen Lippen; ich sah ihn betroffen an – er war weiß wie eine Kalkwand geworden, der Brief zitterte in seiner Hand und einen Augenblick sah es aus, als fasse ihn ein Schwindel; er taumelte und fuhr mit der Hand nach der Stirn, dann stampfte er mit dem Fuße, knäulte den Brief hastig in der Hand zusammen und warf ihn mit einer unbeschreiblich verächtlichen Geberde zu Boden. ‚Ja, was ist Ihnen denn?‘ frage ich, erschrocken aufspringend, denn er sah geradezu unheimlich aus in seiner tödlichen Blässe und seiner steinernen, unnatürlichen, gewaltsam erzwungenen Ruhe.

‚Was mir ist?‘ sagte er und die Worte fielen tonlos und bleiern von seinen Lippen, ‚nichts weiter, als daß die Komödie aus ist und Borkiewicz doch recht gehabt hat, daß mein Stern ein Irrlicht war und daß ich aus einer Pfütze getrunken und sie für eine reine Quelle gehalten habe.‘

„Ich hob den Brief bestürzt auf und suchte ihn wieder zu glätten, während Curt mit schweren, schleppenden Schritten im Zimmer auf und ab ging, die Arme über der Brust verschränkt und den Blick am Boden hinirren lassend. ‚Darf ich?‘ fragte ich dann. ‚Meinetwegen!‘ klang es gleichgültig zurück und ich las in fast durch Thränen verwischter, regelloser Schrift:

‚Licht meiner Augen, Abgott meiner Seele! Was ich schon lange als Nothwendigkeit erkannt und was das arme, schwache Herz immer wieder hinausgeschoben – nun muß es sein – es ist die höchste Zeit geworden! Wenn dein Blick auf diese Zeilen fällt, habe ich Prag verlassen und du siehst mich nie wieder. Ich bin dein Glück gewesen, ich weiß es, und das wird mein Stolz und mein Trost sein in den Tagen der Einsamkeit, aber ich will, ich kann, ich darf nicht dein Verhängniß werden. Vergib mir, wenn ich dir jetzt Schmerz bereite – das geht vorüber und du wirst noch einsehen, daß ich weise und gut gehandelt habe. Und suche mich nicht – du würdest mich nicht finden, ergib dich in dein Geschick und glaube mir, es ist so am besten. Denke so mild und sanft und gut von mir, als du kannst – grolle mir nicht, mein theurer, über alles geliebter Freund. Die Worte verschwimmen vor meinen Augen – mit verzweifelnder Seele küßt dich zum letzten male leidenschaftlich, innig, wild und heiß
deine arme
Leontine.‘          

„‚Und was entnehmen Sie aus diesen Zeilen?‘ frage ich unsicher. ‚Sie lassen vieles, fast alles dunkel.‘

‚Mein Gott, das entnehme ich daraus,‘ fuhr Curt auf in unsäglicher Bitterkeit, ‚daß sie mich geliebt hat, aber nicht durch einen Betrug mein Weib werden wollte und mir die Wahrheit nicht sagen konnte, weil ich dann mit ihr gebrochen hätte. Nun hat sie, vielleicht durch Borkiewicz selber, von dem Streit mit diesem erfahren, die Enthüllungen sind unvermeidlich geworden und nur die Flucht kann sie vor der Entlarvung schützen – was kann denn einfacher sein? Und nun kein Wort mehr über sie, wie sie will, so sei es – sie ist todt für mich!‘ setzte er düster hinzu.

„Wir blieben noch eine Viertelstunde beisammen, in der Curt in düstrem Brüten vor sich hinstarrte und die Zähne in die Unterlippe grub, bis helle Blutstropfen auf derselben standen. Dann legte er die Hand auf meine Achsel und sagte halb bittend: ‚Geh nun!‘

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_51_60.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)