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Mit dem Dressiren aber ist es noch nicht ausgerichtet, sondern es kommt vorzüglich darauf an, daß Kinder denken lernen. Das geht auf die Prinzipien hinaus, aus denen alle Handlungen entspringen. Man sieht also, daß bei einer ächten Erziehung sehr Vieles zu thun ist. Gewöhnlich wird aber bey der Privaterziehung das vierte wichtigste Stück noch wenig in Ausübung gebracht, denn man erzieht die Kinder im Wesentlichen so, daß man die Moralisirung dem Prediger überläßt. Wie unendlich wichtig ist es aber nicht, die Kinder von Jugend auf das Laster verabscheuen zu lehren, nicht gerade allein aus dem Grunde, weil Gott es verboten hat, sondern weil es in sich selbst verabscheuungswürdig ist[1]. Sonst nämlich kommen sie leicht auf die Gedanken, daß sie es wohl immer würden ausüben können, und daß es übrigens wohl würde erlaubt seyn, wenn Gott es nur nicht verboten hätte, und daß Gott daher wohl einmal eine Ausnahme machen könne. Gott ist das heiligste Wesen, und will nur das, was gut ist, und verlangt, daß wir die Tugend ihres innern Werthes wegen, ausüben sollen, und nicht deswegen, weil er es verlangt.

Wir leben im Zeitpunkte der Disciplinirung, Kultur und Civilisirung, aber noch lange nicht in dem Zeitpunkte der Moralisirung. Bey dem jetzigen Zustande der Menschen kann man sagen, daß das Glück der Staaten zugleich mit dem Elende der Menschen wachse. Und es ist noch die Frage, ob wir im rohen Zustande, da alle diese Kultur bey uns nicht Statt fände, nicht glücklicher, als in unserem jetzigen Zustande seyn würden?


  1. S. weiter unten.
              d. H.
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Immanuel Kant: Über Pädagogik. D. Friedrich Theodor Rink, Königsberg 1803, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Immanuel_Kant_%C3%9Cber_P%C3%A4dagogik_K%C3%B6nigsberg_1803.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)