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einen fast unerreichbaren Berggipfel erstiegen hat. Seine Frau unterhielt ihn von allem möglichen, von ihren beiden Knaben, von Verwandten und Bekannten, von ihrem Garten, dem Leben der Stadt; er hörte zu, wie etwa ein Kaiser dem Vortrag über die Verwaltung seiner einzelnen Krongüter, ohne Leidenschaft, er stand jetzt über diesen Dingen und machte sich keine Sorgen um sie. Nur selten warf er eine Bemerkung in den Redefluß hinein, die dann mit diesem meistens wenig zu tun hatte. So sagte er, in dem er mit scharfem Auge die Tischdecke musterte, plötzlich: „Die Decke habe ich ja noch nie gesehen.“ Sie lächelte: „Es ist unsere alte Tischdecke, nur war sie früher rot, und ist grün umgefärbt worden.“ „Welch wunderschöne Decke das ist“, staunte er und streichelte mit seiner rauhen Hand zärtlich über die weiche Wolle. Dann wieder einmal fuhr er empor: „Weißt du, was ich möchte? Ich möchte unsere halbe Wohnung, das Öfchen, den Smyrnateppich, alle diese überflüssigen Kissen“, — er warf diesen Gegenständen liebevolle Blicke zu, — „ich möchte den ganzen Krempel mit nach Rußland nehmen. Was glaubst du, wie gut das alles in den Lazaretten zu gebrauchen wäre, wo den Verwundeten als Kopfkissen heute der zusammengelegte Waffenrock genügen muß!“ Auch blickte er wohl einmal jählings auf die Straße, wenn irgendein besonderes Geräusch hier vernehmbar wurde, und als ein eisenbeladenes Gefährt vorüberratterte, gestand er, nach seiner entsetzten Bewegung zur Straße hin, lächelnd: „Ich habe geglaubt, es wäre ein Maschinengewehr.“ Da drückte seine Frau ihren Kopf so innig an seine Schulter, daß ihre klassisch hohe Stirn von seinem Kriegerbart fast verdeckt wurde. „Günther“, frohlockte sie, „komm zurück! Hier gibt es doch keine Maschinengewehre, hier gibt es keinen Feind.“ Seine Augen leuchteten auf, wenn auch in etwas krankhaftem Glanz, und als wenn er Gespenster scheuche, mahnte er mit abwehrender Hand: „Hedwig, wir wollen solche Wörter gar nicht aussprechen, gar nicht an so etwas denken. Ich bin ja daheim, daheim!“

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)