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Gott strafe England!


Fast ununterbrochen seit zwanzig Jahren ging Fräulein Karoline von Gora jeden Tag der Woche den gleichen Weg durch die lange Lindenallee nach dem Lyzeum, als wäre vergessen worden, das Mädchen aus der Schule zu entlassen, und als ob es deshalb immer weiter dorthin trieselte. In Wirklichkeit war sie Lehrerin an der gleichen Anstalt geworden, auf der sie einst im Flügelkleide ihre Ausbildung erhalten hatte. Ihre pädagogische Tüchtigkeit wurde nicht als hervorragend geschätzt, jedenfalls hatten die Kinder vor „Linchen“, wie die Lehrerin allgemein genannt wurde, keine allzugroße Ehrfurcht, denn erstens gilt auch die Prophetin Nichts im Vaterlande; zweitens beurteilen auch Kinder jedes Geschäft nach der Auslage, und Fräulein Karoline war viel zu bescheiden und anspruchslos, um sich als etwas Besonderes hinzustellen; drittens war, wie die Eltern erklärten, Fräulein von Gora viel zu gut, um die wilden Backfische im Zaum zu halten. Güte und Milde waren die Grundzüge ihres Wesens, und alle ihre angeborene Kraft verwandte sie auf ihre wissenschaftliche Fortbildung und die Steigerung ihrer eigenen Bedürfnislosigkeit. Es war öffentliches Geheimnis, daß bei der alten Frau von Gora Schmalhans Küchenmeister war, und daß die hier gemachten Ersparnisse wesentlich dazu beitrugen, dem Bruder Karolinens, einem hochbegabten jungen Mann, das Studium an der Universität zu ermöglichen. —

Besonders eilig trippelte das Fräulein heute mit dem sturmgeprüften Tirolerhut, in ihrem etwas kurzen, schwarzen

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/89&oldid=- (Version vom 1.8.2018)