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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

2. Die Liedersänger in Polen und im Russinenlande.
Historisches Gemälde von K. Wl. Wojcicki.
 „Dahin sind jene polnischen Barden und Guslaspieler, die mit den benachbarten Druiden wetteiferten, wer am besten die Seinen zur Schlacht anfeuern oder sie am besten beim Mahle ergötzen konnte. Ihre Lieder sind verschwunden aus dem Gedächtniss der Enkel und ihre verstummte Harfe verwittert in Vergessenheit.“
Alexander Chodzko.
I.

 Die erste Benennung der Guslaspieler verschwand in unserem Volke zugleich mit dem Andenken an sie selbst. Die alten Lieder, diese Denkmäler entschwundener Jahre, geriethen immer mehr und mehr in Vergessenheit, und nur im Munde der Landleute erhielt sich ein schwacher Wiederhall nicht geschichtlicher Erinnerungen, sondern nur des eigentlich slawischen Charakters, Geistes und Sinnes.

 Nur selten sieht man jetzt die Kobsa, nur selten begegnet man einem zum Erwerb umherziehenden Dudelsackpfeifer (Dudarz), und dennoch gab es deren unter Stephan Batory eine solche Menge, dass der Reichstag vom Jahre 1578 die Verordnung erliess, von jedem Dudelsackpfeifer eine jährliche Abgabe von 24 damaligen Groschen zu erheben. Der Dudelsack und die Leier widerhallten auf den Burgen der Pane (des hohen Adels) und den Höfen der Schlachta (des niedern Adels); selbst der Ritter, wenn er mit bestäubter Rüstung aus der Fehde heim kam, schämte sich nicht, auf der Kobsa, oder der Leier, oder der Bandura zu spielen. Als der berühmte Held Fürst Samuel Korecki (welchen Twardowski aus Skripna wohl mit Recht den türkischen Donnergott nannte, siehe Władisław IV. Król Polski i Szwedzki w Lesznie 1649) nach einer unglücklich ausgefallenen Schlacht in türkische Gefangenschaft gerieth, spielte er auf der Kobsa und ergötzte dadurch seine unglücklichen Gefährten (siehe Obraz wieku Zygmunta III. Franciszka Siarczyńskiego T. I.). — Die Kobsa, auch Koza und Duda genannt, war in den Gegenden der oberen Weichsel, die Leier und Bandura dagegen bei den Russinen am gebräuchlichsten[1]. Der Dudelsackspieler gab es eine ausserordentliche Menge; manche waren in Städten und Dörfern ansässig, viele wanderten auch umher und durchzogen mit der Kobsa und ihren Liedern Dörfer, Gehöfte und Schlösser.

 Allein im Russinenlande gibt es einen besondern Stand, die „Sänger“; Spiewacy. Es sind dies Blinde, die jedoch nicht von Natur blind, sondern sich entweder selbst geblendet haben oder von ihren Aeltern geblendet wurden. In Pokucien am Pruth kannte ich einen Alten, der zwei seiner Enkel geblendet hatte. Ein solcher blinder Greis spielt entweder selbst auf der Leier, oder wird von einem jungen Sohne begleitet, der ihm auf der Leier accompagnirt.

 Rührend ist der noch bis zur Stunde nicht selten sich darbietende Anblick eines solchen blinden Greises, wenn er den Quersack über der Schulter, auf seinen jugendlichen Sohn gestützt, durch Dörfer und Gehöfte dahin wandert. Der Greis setzt sich nieder: an der Stelle seiner Augen rollen graue, glanzlose Flächen umher; der Söhn an seiner Seite dreht die Wirbel, gewandt schlägt er die


  1. Im Lande Pokucien, zwischen dem Dniester und Pruth, im Dorfe Czortowic, war ein russischer Bauer bekannt, der ausgezeichnet den Dudelsack spielte, und mit seinen Liedern und Tänzen die Edelleute ergötzte. Dort hat sich auch das Andenken an ihn noch erhalten.
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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/318&oldid=- (Version vom 15.9.2022)