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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

 Nach allen diesen Belustigungen nahmen die Schüsselspiele ihren Anfang. Man brachte einen Tisch und stellte ihn mitten in das Zimmer. Die älteren Männer und Frauen standen auf und machten den jüngeren, sowie den „Erwählten“ beiden Geschlechtes Platz. Da erschien die ehrbare Freiwerberin mit einem Tischtuche und deckte damit den Tisch. Die älteste Kindsfrau brachte eine Schüssel mit Wasser und stellte sie auf den Tisch. Die „rothen Mädchen“ und ihre „Erwählten“, die jüngern und älteren Frauen nahmen ihre Arm- und Fingerringe, ihre Ohrgehänge und dergleichen ab und legten sie auf den Tisch, um sich aus ihnen ihr Schicksal (swoju sudjbu) wahrsagen zu lassen. Die Hausfrau brachte eine Serviette, und die Freiwerberin bedeckte damit die Schüssel. Nun setzten sich die Gäste im Kreise nieder; in der Mitte, gerade der Schüssel gegenüber, sass die Alte. Die Ammen legten auf einen Stuhl einige kleine Stücken Brod, Salz und drei Stücklein Kohle. Die Freiwerberin stimmte das erste Lied „dem Brode und Salze (chljebu i soli)“ an, und alle umsitzenden Gäste sangen mit ihr. Dieses Lied hat eine Masse von Varianten, doch ist und bleibt der Charakter und der Grundinhalt desselben fast in allen Gegenden Russlands, von Sibirien bis an die Grenzen Polens, sich gleich.

Chljebu i soli.

Dem Brode und Salze ein langes Sein (Jahrhundert);
und unserem Kaiser ein längeres noch.
Unser Kaiser, er werde nie alt,
Seine guten Rosse, sie werden nie matt,
Sein glänzend Gewand, es bleibe stets neu,
Seine guten Diener, sie bleiben stets treu.
 Aus: Zapiski i zamjeczania о Sibirii ... у .... oj . M(oskwa) 1837.


Schüssellieder.

Ruhm unserm Gott im Himmel — Slawa
Unserm Kaiser und Herrn auf der Erde — Slawa
dass unser Kaiser und Herr nie altern möge, Slawa
sein blühend Gewand sich nie abtragen möge, Slawa
seine guten Rosse nie vom Laufe ermüden mögen, Slawa
seine treuen Diener nie im Gehorsam wanken mögen. Slawa.
Dass Gerechtigkeit blühe im Russenland — Slawa
glänzender als die helle Sonne, Slawa
dass der Kaiser goldener Schatz Slawa
in Ewigkeit voll sei und überfüllt. Slawa.
Dass unsere grossen Ströme Slawa
den Ruhm trügen zum Meere Slawa
und die kleinen zur Mühle. Slawa.
Denn dieses Lied singen wir dem Brode und Salze, Slawa
singen dem Brode, geben die Ehre dem Brode, Slawa
singen dem Salze, geben die Ehre dem Salze Slawa
die alten Leute damit zu erfreuen, Slawa
die guten Leute damit zu zerstreuen — Slawa.


 Nach Beendigung des ersten Liedes hob die Freiwerberin den Stuhl in die Höhe und liess Brod, Salz und Kohlen in die Schüssel fallen, und nun legten die Gäste ihre Sachen darauf; dann wurde die Schüssel wieder bedeckt. Nun stimmte man die andren Weihnachts-Tisch-Lieder (swjatocznyja podbljudnyja pjesni) an. Während des Absingens dieser Lieder rührte die Freiwerberin in der Schüssel herum und mit dem Schluss des Gesanges schüttelte sie dieselbe. Ein jedes Lied hatte seine Bedeutung; doch bedeutete ein oder das andere Lied in verschiedenen Gegenden nicht ein und dasselbe. An vielen Orten hatten wieder verschiedene

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/125&oldid=- (Version vom 29.9.2019)