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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

ihrem Wesen selbst begründet. Die beiden Hauptzweige repräsentiren zwei Hauptideen: die Russische und die Polnische; „daher zwei Religionen, zwei Mundarten, zwei Alphabete und zwei nebenbuhlerische Regierungsreformen.“ (S. 76.) Diese Dualität zu erklären, geht der Verfasser auf die alte Geschichte zurück. „Ihr (der beiden slawische Reiche) Boden ist das alte Slawenthum, die organische Kraft aber, das Band der Masse ist das neue aus Skandinavien (Normannen) und vom Kaukasus (Lechito-Czechen) her eingewanderte Element.“ (9) Das Christenthum kam in diese Länder frühzeitig; im VIII. u. IX. Jahrhundert befestigte es sich. Der Verfasser bemüht sich, die Bekehrung als ganz römisch-katholisch darzustellen; vertheidigt gelegentlich die lateinische als Kirchensprache und weist den Vorwurf zurück, dass das Christenthum den Slawen ihre Vergangenheit entrissen und ihre Denkmäler zerstört habe; der Verlust der heidnischen Geschichte werde ungerecht beklagt; die Einheit des Slawenthums habe nie bestanden; diese Idee stamme aus der neuesten Zeit und werde nicht im Stande sein, die slawischen Völkerschaften, „verschiedene Volksthümlichkeiten zusammenzufügen.“ — (10) Zwischen den slawischen Reichen bildete sich ohne Zusammenhang mit ihnen, aber durch seinen grossen und für ihre Volksthümlichkeit häufig verderblichen Einfluss wichtig, das Königreich Ungarn. Die ungarische Behörde bestand nach des Verf. Meinung „aus nördlichen Finnen, geführt durch türkische Reiterei, welche wiederum ihre Führer aus dem Stamme der Asen vom kaukasischen Lande besass. Der Gesammtname ist Magyaren.“ (S. 94.)

 Nach dem J. 1000 waren die slawischen Staaten gebildet, die Dialekte getrennt und damit der Anfang der individualen Entwickelung gegeben. Unter den Dialekten ist kein Vorrang; der czechisch-polnische besitzt die ältesten Literaturdenkmäler, und nach dem Alter dieser reihet der Verf. seine Darstellungen aneinander. Er bespricht zuerst das Gedicht „Libuscha’s Gericht.“ Es hat eine „vollkommen ausgebildete Sprache, einen reinen Styl, genau (?) befolgtes Versmaas und Gleichförmigkeit grammatischer Regeln.“ Der Text des Bruchstücks wird nach Hanka’s deutscher Uebersetzung mitgetheilt; warum die neuere und genauere, von Swoboda nicht genommen wurde, ist uns unbekannt. (11) Nun folgt die Besprechung der „Königinnhofer Handschrift“, aus welcher das Gedicht „Zaboj, Slawoj, Ludiek“ nach Swoboda vollständig mitgetheilt wird. Da der Grundgedanke desselben den Kampf des Slawenthums gegen das Christenthum darstellt, so vertheidigt der Verfasser letzteres gegen die gemachten Vorwürfe. (12) Von den anderen Dichtungen giebt M. nur von „Jaroslaw“ den Inhalt an, die Uebrigen „verdienen keine besondere Aufmerksamkeit.“ — In Polen und Russland gab es aus dieser Zeit ebenfalls Literaturdenkmäler; sie rühren von Geistlichen her. Nestor, der Mönch aus Kiew, war der erste; Gallus, ein Pole, folgte ihm beinahe gleichzeitig. Jener schreibt eine trockene Chronik, dieser eine fast memoirenartige Darstellung seiner Erlebnisse, an der Seite des polnischen Königs Boleslaw; jener schreibt russisch, dieser lateinisch. (13) Das Christenthum blieb lange Zeit von verhältnissmässig geringem Erfolge; in Russland nahm es die Staatsgewalt auf sich, in Polen drückte es die Aristokratie nieder; weder hier noch dort gab es Verbreiter des Christenthums; sie mussten aus der Fremde kommen. „Ein solcher Ankömmling (sagt M. höchst charakteristisch) war der heilige Woytiech“ (Adalbert), welcher kanonisirt einer der polnischen Schutzheiligen ist, und in der Geschichte Epoche macht. „Wir müssen daher ausführlicher über ihn sprechen.“ Besonders gelobt wird die von ihm herrührende Kriegshymne „O Mutter Gottes.“ Dieser Zustand des Christenthums begründet den grossen Unterschied zwischen den russischen und polnischen Chronikenschreibern. Um denselben genauer zu bezeichnen, führt er einzelne Stellen aus Nestor und Gallus an und stellt sie neben Kosmas von Prag und Dittmar von Merseburg hin. „Diese vier Chronikenschreiber sind die Muster, die sich später in der deutschen, czechischen, polnischen und russischen Schriftstellerei immerfort wiederholen.“ (S. 139.) Die Mundarten in diesen alten Schriften sind bereits festgesetzt; die slawische Sprache „von ältester

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/211&oldid=- (Version vom 3.12.2019)