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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Verkehrs; die materiellen Bedürfnisse des Landes scheint er überhaupt am besten aufgefasst zu haben, während ihm die geistigen rein unverständlich blieben. Bei allen diesen Grundsätzen hofft Hr. Flottwell zum Schluss, seinem Nachfolger werde es gelingen, die Polen zu überzeugen, dass sie in ihrem neuen Vaterlande „ein Asyl gefunden haben, welches jeder adelgeistigen Regung, so wie jedem vernünftigen Streben nach der Verbesserung ihrer äussern Zustände eine freie Entwickelung sichert, und zugleich ihrer, mit dem gemeinsamen Wohl des Staats nur irgend vereinbaren nationellen Eigenthümlichkeit Schutz und Pflege gewährt.“

 II. Das dem Oberpräsidenten vom Volke der Denkschrift ertheilte Antwortschreiben behauptet im Eingange, „der Herr Oberpräsident habe die Schrift absichtlich einigen Leuten mitgetheilt, damit die Polen seine Gesinnung gegen sie kennen lernten.“ — Dann heisst es weiterhin: „Ueber die, allen schlagenden Thatsachen zum Trotz, so lange und so oft abgeläugnete Germanisirungstendenz kann forthin kein Zweifel, kein Streit mehr obwalten, nachdem Sie erklärt haben, dass Sie die den polnischen Einwohnern eigenthümlichen Richtungen, Gewohnheiten (u. s. w. — wie oben im Eingange bis — Kultur) vernichten wollten, auf die Gefahr hin, Erinnerungen und Gefühle der polnischen Einwohner — wie Sie meinen, nur eines Theils derselben, zu verletzen; ja auf die Gefahr in Widerspruch zu gerathen mit der eigenen Lehre, „dass die Ausgleichung des deutschen Elements mit dem polnischen ohne Eingriffe ungerechter Willkühr dem Entwickelungsprocesse der Geschichte zu überlassen ist.“ Was anders ist der langen Rede kurzer Sinn, als dass das Polnische im Deutschen untergehen soll? Dass das Gesammtwohl des preussischen Staates die Verfolgung dieses Zieles zur Nothwendigkeit mache, behaupten Sie zwar, um Ihr Wirken mit der Aegide des Salus publica suprema lex esto zu decken, den Beweis dafür sind Sie aber schuldig geblieben, dürfen es uns also nicht verargen, dass wir uns erlauben, Ihre Ansicht nicht zu theilen. — Möchten Sie es läugnen wollen, dass Sie sich auch über die Möglichkeit hinaus verstiegen, nachdem Ihr ganzer Bericht nur ein ununterbrochenes Geständniss ist von der Vergeblichkeit Ihres Bemühens, die beabsichtigte Vereinigung zu Stande zu bringen, dass Ihnen kein anderer Trost bleibt, als die Ausführung und das Gelingen Ihrer Pläne Ihren Nachfolgern im Amte zu überlassen, nachdem eben Sie es denselben unendlich erschwert, wo nicht unmöglich gemacht haben? — Ihre Anklagen gegen uns tragen es an der Stirn, dass Sie damit nur Ihr Verfahren entschuldigen wollen; denn Jedermann weiss, was er aus dem Bedürfnisse solcher Entschuldigungen zu folgern hat. So wird also Ihre Anklage gegen uns in Ihrem Munde zur Selbstanklage.“ — Der Widerwille der ganzen Nation gegen den Oberpräsidenten ist: „der Ausdruck der entschiedensten öffentlichen Meinung.“ — „Wie? wer im Laufe so vieler Jahre (48 J.) im Besitze der Macht war, sollte nicht auch die Mittel gehabt haben, uns seine wohlwollenden Absichten durch die That zu beweisen? Hat er es nicht gethan, so hat er es nicht gewollt. — Unmöglich verharrt in unserem Zeitalter eine ganze Bevölkerung ein Viertel, ja ein halbes Jahrhundert lang in eigensinniger Verblendung gegen wesentliche Vortheile, überwiegende Güter. — Wenn Sie dieselbe Hand, mit welcher Sie uns Ihre Wohlthaten darreichten, unzart an die Heiligthümer des Volkes legten, an seine nationalen Gefühle, an seine Erinnerungen, an seine Sprache; wenn Sie unter ruhmrediger Erhebung Ihres Schulwesens, durch dessen innere Einrichtung, namentlich durch Einführung eines fremden Idioms als Unterrichtssprache, der Jugend ihre Ausbildung erschweren und verleiden, um sie dann zu tadeln; wenn Sie sogar das religiöse Element nicht verschonten, in jeder Beziehung die Nation in den Individuen und im Ganzen in ihren Eigenthümlichkeiten und ihren Sitten geringschätzig und zurücksetzend behandelten; wenn diesem Beispiele auch die übrigen, höheren und niedern Beamten gefolgt sind, die aus andern Gegenden des Staates herangezogen, statt eine wohlthätige Vermittelung zwischen dem Lande und der Regierung zu bilden, was nur Stammgenossen können werden, dasselbe im feindlichen Sinne behandelten, und dazu beitrugen, durch die unleidlichste

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/223&oldid=- (Version vom 15.12.2019)