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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

sie mit dem Buche der Geschichte in der Hand die Natur ihres Ich’s erforschen und sich zum staatlichen Selbstbewusstsein emporraffen, dessen Verklärung der Zukunft anheim fällt.“ Diese Aufgabe zu lösen sei nur durch eine That möglich; doch sei diese keine physische, noch könne sie überhaupt von einer Seite ausgehen; deshalb glaubt er, werde „Russland’s Einfluss bei der slawischen Einheit unwesentlich, und die Hoffnung darauf ein Irrthum über den Beruf des Staates sein.“ Der Verf. widerlegt dann die Ansicht Gurowski’s, dass Russland zur slawischen Hegemonie bestimmt sei. Seine Darstellung des numerischen Verhältnisses zwischen Russen und Polen ist nicht überall richtig und der Wahrheit gemäss. Es ist etwas anders, einem Volke wegen nationeller Verwandtschaft anzugehören und einem Volke aus politischen Gründen anzuhangen. Die Darstellung der Tendenzen Russlands, die Widerlegung des sogenannten Testaments Peters des Grossen sind Partieen im Buche, welche allerdings gelesen zu werden verdienen. Wichtiger jedoch scheint uns noch das zu sein, was der Verf. über Polen beibringt; er hat die Wichtigkeit Polens für die slawische Idee erkannt, dieselbe aber nicht so hoch hinaufgeschraubt, als man es in Paris zu thun gewohnt ist. Er erkennt an, dass die Demokratie auch für Polen „das Fundament künftiger Schöpfungen werden muss.“ Es sei die wohlverstandene „Sendung der Emigration, die Theorien vorzubereiten, sie der Geschichte, dem Volksgeiste anzupassen und die Bedingungen einer künftigen Ordnung der Dinge zu entwerfen. Durch Beten und Händefalten wird die aristokratische Partei nicht in ihren Himmel einsteigen, Betschnüre und Crucifixe sind nicht die Waffen für die Befreiung des Geistes, daher ist es Sache der Demokratie, die Epoche der geistigen Emancipation herbeizuführen, und ihr Wille, dieser Aufgabe zu genügen, ist zwar manchmal etwas zu extrem, aber im Ganzen ein freudiger, kräftiger, vertrauungsvoller. Wer da glaubet, wird Berge versetzen können. Es muss auch das Slawenthum erst an sich glauben, es musste die alte Cavalierepoche, welche durch ihre Galanterie das Selbstbewusstsein verlor, durch den Ernst der Erfahrung ersetzt werden, und auf diesem Durchbruch ist das Slawenthum begriffen.“ Dazu bedürfe es einer Vermittelung, ein Centrum müsse gefunden werden, und dieses scheine ihm Böhmen sein zu können. Seine freiere Stellung unter den Auspicien eines deutschen Staates, der uns das Recht zu hoffen giebt, dass er sich befleissige, noch deutscher zu werden, die Höhe der böhmischen Literatur, die geschichtlichen Erinnerungen an die ehemalige Blüthe und Hegemonie des Landes berechtigen dieses, sich zum Vereinigunngspunkt der slawischen Schwestern zu machen und den Weg zur allgemeinen Einheit zu zeichnen. Die Bedingungen sind gegeben, es muss nur zu ihrer Benutzung geschritten werden.“ Zu diesem Entzwecke fordert der Verf. slawische Lehrstühle und eine slawische Akademie in Prag. Das Slawenthum müsse einen Haltpunkt in der Idee gewinnen, geistig müsse es sich in der Nation manifestiren. „Der russische Geldeinfluss wird aufhören, das Slawenthum wird der ihm angethanen Schmach noch mehr inne werden, es wird sich als Individuum fühlen und nach langem bescheidenen Schweigen das Haupt erheben, um ein ernstes Wort zu reden. In der Geschichte ist das Arsenal des Volks, worin die Waffen seiner Emancipation liegen, und hat ein Theil des Slawenthums dem andern sein γνῶϑι σᾱυτὸν nicht ohne Erfolg zugerufen, dann wird die slawische Welt, die Geschichte Europa’s ergänzend, als drittes europäisches Integralelement zwischen die romanische und germanische Welt hintreten, um die That des Geistes zur Reife zu bringen.“ So schliesst das Buch.

 17. Serbien, Russland und die Türkei. Berlin 1843. 138 S.

 Eine Darstellung des gegenwärtigen Zustandes in der Türkei, mit besonderer Hervorhebung der letzten Ereignisse in Serbien. Der Verf. kennt dieselben ziemlich genau, doch scheinen seine beiden Hauptquellen Ranke’s Geschichte der serbischen Revolution und die Augsburger Allgemeine Zeitung zu sein. Jenes Buch

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/233&oldid=- (Version vom 25.12.2019)