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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

indessen hat auch hier die neue illyrische Schreibweise in den letzten Jahren mehrere Freunde gefunden und weitere, wenn auch noch unbedeutende, Regungen veranlasst. Dalmatien wollte lange keinen Antheil an dem geistigen Wiederaufleben des illyrischen Volksstammes haben, bis einzelne Köpfe erst in der neuesten Zeit die hohe Bedeutung desselben erkannten. Als Gaj im vorigen Jahre nach Ragusa kam, bewies ihm die gebildete Bevölkerung auf das Lebhafteste, wie man sein Wirken einer dankbaren Anerkennung zu würdigen wisse. Während aber in den eben angeführten Ländern die Idee des Illyrismus unaufhaltsam, wenn auch langsam, die Gemüther ergreift, findet sie in den Serben in der Türkei und Ungarn die halsstarrigsten Bekämpfer. Sie wollen ihren Nationalnamen nicht gegen einen andern opfern, der ihnen nur als Phantom erscheint. Die eifrigsten Bemühungen Gaj’s sind hier gescheitert; doch lassen gewisse Umstände, die hier nicht weiter angedeutet werden sollen, nähere Verständigung zwischen den Illyriern und Serben voraussehen. Bereits hat der bekanntlich durch geistige Bildung hoch über seinem Volke stehende Wladyka von Montenegro seinen Seherblick auf den Illyrismus gerichtet, so wie auch Gaj mit grosser Begeisterung von der nationalen Gesinnung dieses Slawenfürsten spricht. Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Bewegungspartei in Serbien, welche unlängst ans Ruder gekommen ist, ganz im Geiste der Illyrier handelt und mit ihnen in einem innigen Vernehmen steht.

 In welcher Stellung steht aber Gaj zu der österreichischen Staatsregierung, da seine Wirksamkeit nicht blos auf einige Hitzköpfe, nicht einmal auf einige Tausende, sondern auf mehrere Millionen österreichischer Unterthanen mittelbar und unmittelbar sich erstreckt? Wer Gaj nur nach gewissen Berichten und einzelnen Handlungen beurtheilen würde, möchte leicht verleitet werden, ihn für einen gemeinen Agitator anzusehen. Dieser Vorwurf kann ihn nicht treffen. Schon das Vertrauen, das die österreichische Regierung bei seinem ersten Auftreten in ihn gesetzt hat, beweist, dass sie ihn eher für einen Ehrenmann, als für einen verschlagenen und ränkeschmiedenden Aufwiegler hielt. Auch hat sie ihm später bei verschiedenen Gelegenheiten zu erkennen gegeben, dass sie seine Verdienste um die Veredlung der illyrischen Slawen zu würdigen sich berufen fühle; ein kostbarer Ring, welcher ihm huldreichst von dem jetzt regierenden Kaiser zum Zeichen der Anerkennung seines Strebens verliehen wurde, beschämte seine Feinde, die ihn so gern gestürzt hätten. Magyaren und Deutsche hatten sich hierin getäuscht. Allerdings muss in Gaj’s Brust eine gewisse Antipathie gegen das deutsche Wesen ruhen; sie erklärt sich einem unpartheiischen Beobachter der Vergangenheit und Gegenwart sehr leicht. Er weiss es, was der Volksstamm, dem er angehört, Gutes und Böses von den Deutschen genossen hat, und es gereicht ihm zur Ehre, dass er bei mehreren Gelegenheiten den in Folge früherer Ereignisse tief eingeprägten Hass seiner Landsleute gegen Deutsche zu zügeln verstand. Ihm ist ferner deutsche Bildung und deutsche Geisteskraft kein Gegenstand der Verachtung; nur wird es Jeder mit den dortigen Verhältnissen einigermassen Vertraute sehr natürlich finden, wenn er weder zur Magyarisirung, noch zur Germanisirung seiner Stammgenossen die Hand bietet. Auch scheint die österreichische Regierung immer mehr zu der Einsicht zu kommen, dass die Zeit vorüber ist, wo gewaltsame und hinterlistige Maassregeln ein Volk seiner Nationalität berauben konnten. Das Slawenthum hat Front gemacht gegen das Deutschthum und scheint demselben von allen Seiten ein dreistes, wohl zu selbstgenügsames „Bis hierher und nicht weiter“ zurufen zu wollen. So mag vielleicht auch Gaj denken. Es hängt nun von der österreichischen Regierung ab, den sich gestaltenden Umschwung der Dinge so zu benutzen, wie es eines christlichen Staates, welchem nationaler Fanatismus eben so wie religiöser als sündhaft erscheinen muss, würdig ist. In der jüngsten Zeit hat Oesterreich einige Schritte gethan, um die ihm oft abgesprochene Deutschheit seiner Gesinnung öffentlich an den Tag zu legen. Woher kommt eine so plötzliche Umwandlung der Gesinnung in dieser „Welt für sich“? Ist sie das Ergebniss einer reinen Begeisterung für die herannahende Einigung der deutschen Stämme oder haben äussere Motive sie hervorgerufen? Die Frage bleibe

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/30&oldid=- (Version vom 13.12.2020)