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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Theile Kärnthens und in Krain)? Der beliebte Gemeinplatz sagt zwar, die lateinische Sprache sei eine todte, die deutsche hingegen eine lebende. Allein was liegt denn daran, ob die unverstandene Sprache eine alt- oder neugriechische ist; unverstanden ist sie jedenfalls, und der Geist hungert fort nach einer entsprechenden Nahrung. Das erste Büchlein, das das siebenjährige Kind bei uns in die Hände bekommt, ist auf einer Seite windisch, auf der andern deutsch; da werden dann die deutschen oder besser die gothischen Buchstaben zuerst gelehrt, und fleissig das Lesen der deutschen Seite geübt. Wenn dann das Kind endlich das ihm rein Unverständliche ziemlich fertig aus dem Kopfe herableiern kann, dann erst beginnt der Unterricht im Kennenlernen der lateinischen oder windischen Buchstaben. Dies tritt beiläufig nach Verlauf eines halben Jahres ein. Nun sollte man meinen, wird der Muttersprache wenigstens eben so viel Zeit gegönnt. Allein mit nichten! Man geht da wieder von dem freilich wenig pädagogischen Grundsatze aus, „dies könne (? — !) das Kind selbst auch thun.“ In der Folge bekommt es einen eben so eingerichteten Katechismus, und der Katechet, der die Kinder die Religionslehren in deutscher Sprache am besten herabschnattern lässt (denn vom Verstehen und Fühlen kann bei solchen Umständen doch wohl keine Rede sein), erhält vom Herrn Dechante die tüchtigste Belobung. Das Rechnen wird durchgehends deutsch vorgenommen; nur die kleinsten Kinder lernen windisch „zählen“, was für eine grosse Begünstigung gilt. Ich wage nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass es im ganzen Cillier und Marburger Kreise nicht drei Schulen gibt, in denen die Kinder auch nur das Wort „multipliciren“ in ihrer Muttersprache auszudrücken im Stande sind. Noch schlechter steht es mit der Sprachlehre. Wie habe ich geseufzt, wenn ich in windischen Schulen das nämliche Schulbuch sah, welches in den Schulen zu Gratz gebraucht wird. Welche unsägliche, und trotz dem durch und durch nutzlose Mühe für das arme geplagte Kind, wenn es die Regeln der deutschen Sprache, die noch dazu für Deutsche abgefasst sind, in der nämlichen Sprache lernen soll. Will man uns Deutsch lehren, gut, wir wollen noch dankbar dafür sein[1]; aber man greife es nur mit etwas mehr Verstand an, und das Bemühen soll auch bessere Früchte tragen. Die Sprachlehre soll, wie die Pädagogen lehren, die Logik des Volkes sein: wo löst sie hier ihre Aufgabe? Ich überlasse es der Denkkraft des Lesers, die Folgen dieser Handlungsweise weiter fortzuführen, und bemerke nur noch, dass der Geist eines solchen Kindes verkrüppeln muss. Was endlich die Rechtschreibung betrifft, so sieht es um keinen Heller besser aus. Ich habe einer bedeutenden Anzahl von Schulprüfungen beigewohnt, aber nicht ein einziges Mal, sage nicht ein einziges Mal auch nur einen einzigen Satz in slowenischer Sprache diktiren hören. Wenn nun solche Kinder nach diesem widersinnigen, vier- bis fünfjährigen Unterrichte aus der Schule treten, so sind sie nach dem Ausdrucke eines slowenischen Bauers, den ich über den Nutzen der Schulen für seine Kinder befragte, „dümmer, als sie vor dem Eintritte in die Schule waren.“ Wie oft hörte ich die Klage wiederholen, dass die entlassenen Schüler nicht einmal die Arbeiter sich verzeichnen können. Das ist ganz natürlich; denn um das Deutsche vollständig zu erlernen, dazu wäre für’s erste eine menschlichere Methode nothwendig, wo dann eine Stunde formell und materiell mehr Früchte tragen würde, als gegenwärtig drei. So aber sind die an sich wenigen Stunden ungeregelten Hineindrängens von unverstandenen, fremden Materien (denn der Geist, die Form und das tiefere innere Wesen des Unterrichts geht für solche


  1. Jedenfalls aber doch erst dann, wenn die Kinder in den übrigen zum Leben unumgänglich nothwendigen Kenntnissen genugsam fortgeschritten sind; denn in slawischen Dorfschulen können wir das Deutsche niemals anders, als nur als Lehrgegenstand gut heissen.
    Die Red.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/315&oldid=- (Version vom 24.2.2020)