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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

 In diesen Bettlern sehen wir den Ueberrest unserer alten Wallfahrter oder Pilgrimme, welche neben andächtigen Liedern auch morgenländische Mährchen und italienische Geschichten unter dem Volke ausstreuten, wie man sie noch heutigen Tages auf den Dörfern überall erzählt.[1]

IV.

 Wenden wir uns wieder zu unsern Liedersängern. Bei ihnen wurde die ukrainische Kobsa eben so sehr gelobt, als der russische Dudelsack verachtet und verworfen. So heisst es in der Genealogie des Nicydes, Krakau 1635: „Es kommt der Mittag, was hast du zu essen, armer Bursche? — Musst vor Hunger brüllen, wie ein russischer Dudelsak.“

 Im XVI. Jahrhundert war besonders der masowische Dudelsack beliebt, mit welchem die Wallfahrter umherzogen, die in jener Zeit Kursoren genannt wurden. Sie sangen zu ihrem Instrument fromme Lieder und priesen die Wunder des heiligen Jerusalem. Unter den Dudelsackbläsern gab es selbst berühmte Musiker. Simonowicz lobt besonders den Kobsaspieler Daniel. Wie beliebt der Dudelsack in der Zeit Sigismund III. war, ersehen wir aus den Worten Kasper Mjaskowski’s (im J. 1622):

Ale niemasz nad nasze z krzywym rogiem dudy,
bo te może mieć zawżdy i pachołek chudy.

 D. i.: Es gibt nichts über unseren Dudelsack mit dem krummen Horne; — denn ihn kann jeder Zeit auch der ärmste Bursche haben.

 Auf Maskeraden befand sich der Dudelsack und die serbische Geige unter der Musik: „Die serbischen Geigen und die Dudelsäcke betäuben alles Uebrige — wenn die Masken von der Thür her nach dem Saale dringen. — Die Dudelsackspieler duldeten auch keine andere Musik neben sich; vielleicht ahneten sie ganz richtig, dass die ausländischen Sitten sie von ihrem heimischen Boden vertreiben würden. — Diese Verfolgungen begannen schon im XVI. Jahrhunderte. Man erklärte sich öffentlich gegen den Dudelsack und Salamon Rysinski führt ein spöttisches Sprichwort über ihn an: „Wen die Kobsa erheitert, ist ein grosser Glücksvogel.“ Und ein anderes, in welchem sich der Vorzug der ausländischen Laute ausspricht, lautet wieder: „Der Lautenspieler fängt nicht eher an, als bis der Dudelsackpfeifer schweigt.“ Gar bald schickte man, wie Gornicki erzählt, Männer nach Italien, das Lautenspiel zu lernen, und wenn man einen zu Grunde gegangenen Verschwender fragte, was er nun machen wolle, antwortete er: „Ich werde auf der Laute spielen und mich davon nähren.“

 Ganz anders war es in den alten Zeiten, als Polen noch viele grössere und kleinere Burgen hatte, die von dem hohen und niederen Adel bewohnt wurden; da gab es für die wandernden Dudelsackspieler ein behagliches Leben, wie dies ein ungenannter Dichter vom Jahre 1633 (in der Szkolna mizeryja w dialog zebrana) recht vortrefflich schildert: „Auf jedem, kleinen und grossen Schlosse (heisst es da), besonders wenn man neben einem zahlreichen Dienertross auch


  1. Wir wissen nicht, wie Wojcicki auf den Gedanken gekommen ist, den Ursprung unserer nationalen Mährchen und Erzählungen in das Morgenland und nach Italien zu versetzen, auch wären wir begierig, seine Gründe für den hier involvirten Gedanken zu hören. Bis dahin müssen wir offen gestehen, dass wir unsere volksthümlichen Mährchen und Erzählungen für reine Ausgeburt der Phantasie unserer Nation zu halten uns durch ihren Charakter und die ächt nationale Form, in der sie auftreten, gezwungen sehen, worin wir allein schon den unumstösslichsten Beweis ihrer slawischen Ursprünglichkeit erblicken. Jede andere Ansicht dünkt uns ein gänzliches Missverstehn des slawischen Alterthums. Die Red.
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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/325&oldid=- (Version vom 15.9.2022)