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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Franzosen, der Deutschen der Bauch, die Gurgel, das Vergnügen, die Sinnlichkeit nur ein Intermezzo, nicht das ganze Drama; bei dem Polen aber bildet der Müssiggang mit der ganzen von ihm unzertrennlichen Genossenschaft das hauptsächlichste, das einzige Ziel des Lebens. Der Engländer, der Franzose und der Deutsche ist reich und bringt durch seine Verschwendung noch dem Lande Nutzen. Er kauft schöne Kunstwerke und Denkmähler alter Völker auf und schleppt aus Italien Gemälde, aus Griechenland Statuen, aus Indien, Afrika und Amerika seltene Naturerzeugnisse in sein London zusammen und verwendet sein Geld auf den Druck nützlicher oder prachtvoller Schriftwerke. Hat denn aber bei uns irgend Jemand ein heimisches Museum, eine Bildergallerie, eine bedeutendere Bibliothek angelegt? oder (mit Ausnahme der einzigen Grafen E. Raczynski und Titus Działynski, denen darum mit Recht der unsterbliche Dank der Nation gebührt) verwandte irgend Jemand auch nur einen Thaler auf den Druck eines Elementarbuches?

 Nur jener Weg kann uns zu dem gewünschten Ziele führen. Liegt uns aber nichts an der Nationalität; dann lassen wir die Dinge doch wie sie sind. Amusiren wir uns an wissenschaftlichen Sitzungen und Vorlesungen, spielen wir Whist und Pharao, schlürfen wir Austern und Champagner (und mit ihnen auch unsere Dörfer und Güter), spannen wir 4 und 5 Pferde vor, halten wir Reichstage, Bälle und Gesellschaften, ballottiren wir etc. etc.; aber schweigen wir von Patriotismus, von Nationalität, von Wissenschaft: denn leere Worte ohne That bedeuten Nichts; und in 50 Jahren wird ein neuer Diogenes am lichten Tage mit der Laterne in der Hand vergebens den letzten Polen im Grossherzogthum Posen suchen.



Kritiken.

1. Der Wettkampf der Teutschen und Slawen seit dem sechsten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung.

 Herr Professor und Prorector Heffter in Brandenburg hat es für nothwendig gehalten, bei den gegenseitigen Annäherungen zwischen der deutschen und der slawischen Nation auch seine Stimme erschallen zu lassen. 3 Abhandlungen hat er unter dem obigen Titel in Bülau’s Jahrbüchern der Geschichte und Politik, Jahrgang 1843, Heft 2. 6. u. 11., veröffentlicht und darin die historischen Berührungen der beiden Völker bis zum Jahre 919 besprochen. Es liegt uns hier nicht ob, die einzelnen falschen Auffassungen des Verfassers zu corrigiren, noch die entstellten Zustände in ihr wahres Licht zu setzen; nur den Geist wollen wir etwas genauer ins Auge fassen, in welchem jene Abhandlungen geschrieben sind, und in einzelnen Zügen darthun, wie wenig würdig es sich den nationalen Bestrebungen der Gegenwart gegenüber darstelle, wie wenig es sich gezieme, durch solche Benutzung der Geschichte die alte Zwietracht zwischen den beiden Nachbarvölkern von Neuem anzufachen und durch Belobung der ungerechten Thaten, durch Entschuldigung und Ableugnung der Fehler das eigene Volk stolz zu machen, als sei es im guten Rechte auch in der Vergangenheit, und dabei auf das fremde, schuldloserweise Herabgedrückte mit Hohn und Verachtung den Stein zu werfen und den kaum eingeschlummerten Zorn von Neuem rege zu machen. Ist die Geschichte die Lehrerin der Wahrheit, der nackten, unparteiischen Wahrheit, wer darf es wagen sie zu missbrauchen zur Dienerin der Politik und zur Predigerin einer alleinseligmachenden Nationalität?

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/430&oldid=- (Version vom 14.2.2021)