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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Landsleuten gebracht worden sind. Und beweist denn nicht die Zunahme der Mässigkeitsvereine in Deutschland die Unmässigkeit im Trinken?

 Falschheit wirft uns der Herr Professor vor? Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, dass diese Untugend bei keinem einzigen slawischen Volksstamme einen eigentlichen Namen hat, dass im Gegentheil im Böhmischen ebenso gut als im Serbischen, Russischen und Polnischen dieses Wörtchen erst von den Deutschen entlehnt werden musste. Lässt es sich denken, dass ein so grosses Volk einen Begriff von einer Sache hatte, die es nicht einmal zu nennen wusste? Welch Wunder! oder hätten sich die Slawen diese Untugend durch die ihnen von dem Herrn Professor öffentlich zugestandene überaus grosse Fertigkeit, alles Fremde leicht zu erlernen, sich angeeignet? Dass aber auch in unserer Zeit durch solche Andichtung von Falschheit und Heimtücke den Slawen ein schweres Unrecht geschieht, wird Jeder einsehen, der begabt genug vorurtheilsfrei und sorgfältig mit eignen Augen unsere Landsleute beobachtet und dabei sein Augenmerk auf alle Umstände nach Billigkeit und Recht wendet. Gewiss wird jeder Menschenfreund das bei allen Slawen als Regel finden, was Anton in seinem „Versuche über die alten Slawen“ (S. 35.) und Gebhardi in seiner Geschichte der Wenden, §. 2. S. 300, von den Serben in der Lausitz bezeugt: dass hier in der That ein verdienter Mangel an Vertrauen ist. Ein gleiches Zeugniss giebt Surowiecki in seiner „Erforschung der Abkunft der slawischen Völker“ (S. 151.)

 Gegen die Trägheit der Slawen giebt uns die tägliche Erfahrung die beste Vertheidigung, besonders bei denen, die für sich und ihre Familie sorgen und arbeiten. Dass aber selbst die benachbarten Deutschen bis diesen Augenblick slawische Lohnarbeiter, z. B. böhmische, sehr gerne annehmen, kann nur ein entfernter Fremder, wie Heffter, nicht wissen; diese Erfahrung spricht zweifelsohne deutlicher als alle Urtheile der Schriftsteller, welche gewöhnlich weder unsere Verhältnisse, noch reinslawische Länder und Ortschaften kennen. Und dass gerade unsere Vorväter, besonders so lange sie selbstständige Staaten bildeten, den Schmuck eifriger Thätigkeit besassen, hat lange schon die Welt erfahren, hat die frühzeitige, den andern benachbarten Völkern vorauseilende Entwicklung ihres geistigen und öffentlichen Lebens dargethan, so dass auch gerechte Ausländer dieses anerkannten und anerkennen, wie, um nur ein Beispiel zu nennen, W. Menzel, der in seiner Geschichte der Deutschen, 1834, S. 343, 421, 424 etc. namentlich von den Czechen mit der grössten Hochachtung spricht und ihre Bildung als gross, herrlich und die deutsche weit übertreffend schildert. Ebenso Pulkawa und Herder. Dass aber jetzt viele slawische Völkerschaften geistig zurückgeblieben sind, kann nur der Nichtkenner unserer slawischen Thätigkeit zur Schuld anrechnen, weil er nicht nur den Zustand der Slawen nicht erforscht, sondern auch die gründlicheren Schriften über dieselben, wie die Pelzel’s, Schafarik’s, Palacky’s, ja nicht einmal Menzels gelesen, noch gehörig erwägt hat. Werfen wir nur einen Blick rings um uns her, wo wir auch slawische Stämme in grösserer Anzahl wirklich in Noth und geistiger Vernachlässigung finden, sind dort die unter ihnen und unter gleichen Verhältnissen lebenden Deutschen wohl besser, gebildeter? Was nutzt es, für die Bildung der Slawen auf solche Weise zu sorgen, wie z. B. in der Lausitz, in Schlesien etc.? Freilich werden dort sehr viele Schulen gegründet und in den Schulen selbst sehr viel gearbeitet; aber leider alles vergebens, wie ein anderer deutscher Publicist in der allgemeinen Zeitung sich beklagte; denn die Serben und Slawen lernen in den deutschen Schulen so wenig, wie die Deutschen etwa in slawischen, französischen oder andern fremdsprachlichen Schulen lernen würden. Das Volk lernt ja nun einmal nicht ausschliesslich mit den Augen; die Sprache, die angeborne Sprache muss man vor Allem beachten, und das vorzüglich dort, wo der grössere Theil der Kinder, besonders in den niederen oder Volksschulen immer nur kaum so lange den Unterricht besucht und besuchen kann, als nothwendig

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/437&oldid=- (Version vom 14.2.2021)