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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Es ist dies eine herzliche, eine ungeschminkte, eine einfache, biedere Sprache; die kleinrussische Naivität und Grazie verschmilzt unter seiner Hand gar oft auf die geschickteste Weise mit der russischen Diction. In diesem Dialecte nämlich giebt es keinen so schlagenden Unterschied zwischen der Schrift- und Umgangssprache, wie sie seit jeher im Grossrussischen besteht; und darum kann die kleinrussische Diction, welche von den Lippen unmittelbar in die Feder fliesst, ohne vorher nach den Regeln der feinen Kunst bearbeitet sein zu müssen, viel dazu beitragen, die grossrussische Sprache selbst einfach und schlicht zu machen; — und in dieser Hinsicht hat der thätige Osnowjanenko durch seine russische Schreibeweise unserer Nationalität die mannigfaltigsten Vortheile gebracht. — — Die genannten Männer gehören grössten Theils zu der älteren Schule, neben ihnen aber bildet sich ein junges Geschlecht von Schriftstellern, an deren Spitze Schewirjew den nationellen Gogol stellt. Von seiner Schreibeweise sagt er: „Seine Sprache wird von dem kräftigen Willen seiner Phantasie beherrscht und liebt nicht den grammatikalischen Zügel. Er hat sie auf die höchste Stufe des Colorits geführt: Gogol — ist unser erster Maler in der Diction; seine Sprache — ein Pinsel; seine Worte — eine unzählige Reihe der lebendigsten Farben auf einer polirten Platte; was wir nie gesehen haben, zeichnet er uns durch seine Ausdrücke so deutlich, dass es uns scheint, es stehe vor unsern Augen. Ueberdies hat er noch die grosse Gabe, die russische Umgangssprache zu hören und sich anzueignen, und dann, je nach dem Charakter, dem Gegenstande und dem augenblicklichen Gefühl der Personen, welche er uns vorführt, sie zu verarbeiten. — Drei Schriftsteller vertreten bei uns die Erzählung aus dem sozialen Leben und vermählen so unsere Schriftsprache mit der Sprache der besseren Gesellschaft; sie sind Pawlow, der Fürst Odojewski und der Graf Solohub. Pawlow schafft Kunstwerke und pflegt seine schöne Diction, welche er aber despotisch der höheren Gesellschaft überantwortet; der Graf Solohub beobachtet auf den Lippen der höhern Gesellschaften selbst die Sprache derselben mit aller ihrer lebendigen Schönheit und den lieblichen Mängeln; der Fürst Odojewski hält die Mitte zwischen beiden, indem er in seinem Style die Kunst mit dem Leben verbindet.“ — Auch auf die weiblichen Schriftsteller kommt Schewirjew zu sprechen; besonderen Dank ertheilt er den Damen, welche Kinderschriften geschrieben. Denn vor ihnen wusste selten Jemand, wie man mit Kindern sprechen müsse. Welcher Mann wäre im Stande, die Schönheiten des Styles einer Ischimowa in ihren Erzählungen aus der russischen Geschichte, nachzumachen? Die Frau Sonntag machte den schönen Styl Karamzin’s und Żukowski’s selbst den kleinen Lesern verständlich und man kann behaupten, sie bildete den Styl für Kinderschriften classisch aus. Ein feuriges religiöses Gefühl weht durch die Prosa der Madame Glinka, welche sich auch durch Dichtungen ausgezeichnet hat. Malerisch ist der Styl der Madame Zeneïde R. in ihren Erzählungen. Eine liebliche Einfachheit zeichnet die Beschreibungen der Madame Żukowa in ihrem Roman Chopin-Schujski aus. Madame Schischkinowa ragt besonders durch vortrefflichen Geschmack in der nationalen Schreibweise hervor. Durch eine ungezwungene Diction steht die Feder der Madame Zrażewska über den Andern. — Der Verfasser schliesst seine weitläufigen Bemerkungen über die russischen Schriftsellerinnen mit der einzigen Warnung, Gott möge die Russinnen vor der falschen und nichtigen Idee der Frauenemancipation selbst in der Literatur bewahren, vor einer Idee, mit welcher der Westen so leicht Russland anstecken könne. „Es wäre dies (sagt er) bei uns eine Parodie auf das bekannte Ballet der „Frauenaufruhr im Serail“, und kein Reiz in der Welt, selbst der einer Taglioni, in Sprache verwandelt, wäre im Stande, die Frau vor der Lächerlichkeit zu retten, welche in Russland die revolutionaire Rolle einer literarischen Zulma spielen wollte.“ — Zum Schlusse seiner Abhandlung bespricht Schewirjew noch die Schriftsteller, welche das nationale Element der russischen Umgangssprache besonders gepflegt haben. Die erste Stelle nimmt hier Puschkin ein; er hat zuerst auf diese Quelle hingewiesen; ihm folgt Pogodin, welchem der Verfasser jedoch bisweilen Mangel an Geschmack vorwirft; endlich Zagoskin. Aber

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/70&oldid=- (Version vom 6.10.2022)