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Flavius Josephus: Juedischer Krieg (Bellum Judaicum) übersetzt von Philipp Kohout

wer möchte es ihm verargen? Dass aber in einem solchen Vernichtungskampf Zahlen auftreten, die alle sonstigen Dimensionen durchbrechen, lehren die Blutscenen der späteren Erhebungen. Zweifellos sind die äußeren Ursachen des Krieges, die schwankende Haltung des Priesteradels, das Eingreifen des Königs Agrippa II., das Anwachsen des Revolutionsfeuers, die furchtbare Zermalmung der Mittelpartei ungemein psychologisch und wirkungsvoll geschildert – und dennoch vermisst gerade hier der aufmerksame Beobachter jener weltgeschichtlichen Periode eine tiefere Erfassung der eigentlichen treibenden Unheilsmächte, eine fast totale Verkennung des ganzen furchtbaren Verhängnisses macht sich überall geltend, die nur für Augenblicke und blitzartig durch den Hinweis auf einen bei Jos. allerdings unerklärlichen Zorn des Ewigen unterbrochen wird, dem Verfasser schwankt, wie man sieht, der eigene tausendjährige Boden unter den Füßen, und er versteht trotz seiner gegentheiligen Betheuerung weder die Vergangenheit noch die Zukunft seines unglücklichen Volkes. Es muss zur Ehre des Jos. gesagt werden, dass er, wie er sich trotz seiner vielgeschmähten Liebesdienerei gegen Rom im Herzen stets eine aufrichtige Anhänglichkeit an seine Nation und einen freieren, selbst von der kaiserlichen Gnadensonne nicht ganz beirrten Blick für ihre große Vergangenheit bewahrt hat, so auch die Krone Israels unter den Völkern, den Glauben an die Einheit Gottes, theoretisch hochgehalten und in seinen Schriften verkündet hat. Aber dieses unstreitige Verdienst hat er sich wesentlich dadurch verdorben, dass er das schönste Juwel, die messianische Hoffnung, aus dem Kranze seines Volkes gebrochen und den Bundesherrn mit seinen untrüglichsten und klaren Verheißungen gerade in unserem Werke in einer Art behandelt hat, die fast einer Deferenz gegen den Juppiter des Capitols und einer factischen Absage an die Weisheit, Macht und Heiligkeit eines wahrhaft lebendigen und ewig treuen Gottes gleichkommt. Die Geschichte Israels ist ihm wie ein gewaltiger, immer herrlicher sich ausbreitender Strom, der sich in dem Augenblicke, wo er die Welt nach allen Seiten hin befrachten soll, in elende, pestathmende Sümpfe von Blut und Schmutz verliert, die Geschichte eines Volkes, wie die so vieler anderer Völker, die ohne Verheißung und Auserwählung, ohne Offenbarung und Heilshoffnung sich eine stolze Stellung im Völkerbau errungen, um dann, wie Babel und Assur, in das Dunkel der Vernichtung herabzusinken, ohne der Menschheit etwas anderes, als einen leeren, gehassten Namen, zu hinterlassen. Der Gott des Jos. ist dann nicht viel besser, als jener der Epikuräer und Stoiker, der sich um die Welt nicht kümmert oder gar in ihren Veränderungen seine eigene göttliche Entwicklung durchmacht, wie es vom Fatum unabänderlich bestimmt ist. Wie oft klingt etwas fatumähnliches aus den Worten unseres Verfassers, der als Pharisäer wenigstens die kalte

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: Juedischer Krieg (Bellum Judaicum) übersetzt von Philipp Kohout. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite IX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/009&oldid=- (Version vom 9.2.2020)