entehren. Das war auch sein Leitstern! Vor den Augen der beiden Heere blitzte einen Augenblick sein Schwert auf, dann sank er durchbohrt zu Boden. 188 Aus den durch das Feuer abgeschnittenen Römern rettete sich ein gewisser Artorius auf folgende schlaue Art: Er rief so laut, als er schreien konnte, nach einem Kriegsgefährten und Zeltgenossen, namens Lucius: „Ich hinterlasse dir mein ganzes Vermögen, wenn du herkommst und mich auffängst“. 189 Lucius war gleich bereit und lief zur Stelle, worauf der andere sich auf ihn hinabstürzte und wirklich am Leben blieb, während sein Retter unter der Wucht des stürzenden Kriegers mit solcher Gewalt auf das Steinpflaster hingeschleudert ward, dass er todt am Platze blieb. 190 Diese Schlappe erzeugte bei den Römern allerdings eine vorübergehende Muthlosigkeit, aber verschärfte auch ihre Vorsicht für die Zukunft, und hatte darum in Ansehung der vielen Hinterhalte, in welchen die Römer infolge mangelhafter Orts- und Menschenkenntnis in der Regel zu Schaden kamen, sogar ihr Gutes. 191 Die Halle brannte bis zum Thurme des Johannes nieder, den der Tyrann in seinen Kämpfen mit Simon gerade über die auf den Xystus hinausführenden Thore hin errichtet hatte. Das noch übrige Stück hatten die Juden durch Abhauen des Daches vor dem Brande gerettet, nachdem die Römer, die auf die Hallen gestiegen waren, bereits ihren Tod gefunden hatten. 192 Am nächsten Tage wurde auch die Nordhalle und zwar von den Römern selbst in ihrer ganzen Länge bis zur Osthalle eingeäschert. Der Winkel, welcher beide Hallen verband, erhob sich mit seinem Baue gerade über der Cedronschlucht, also über einer furchtbaren Tiefe. So standen die Dinge im Tempel oben.
193 (3.) Mittlerweile wüthete die Hungersnoth in der Stadt unten fort und mähte eine zahllose Menschenmenge nieder. Dabei spielten sich ganz unsagbare Jammerscenen ab. 194 Kam in einem Hause etwas zum Vorschein, was auch nur von ferne an eine Speise erinnerte, so war auch schon der Kampf fertig, und Personen, die sich sonst über alles theuer waren, gebrauchten jetzt gegeneinander die Fäuste und rauften sich um die jammervollste Zehrung. 195 Selbst Sterbenden traute man nicht, wenn sie betheuerten, dass sie nichts mehr hätten, sondern das Raubgesindel durchsuchte auch solche, denen die Seele schon auf den Lippen stand, weil man dachte, sie könnten doch noch etwas Essbares in der Busenfalte haben und deswegen das Sterben nur simulieren. 196 Den Mund weit offen vor Hungerqual, wie von der Tollwuth befallene Hunde, wankten und schwankten die Banditen an den Häusern dahin, fielen dann wie Betrunkene in die Thüren und liefen, weil sie sich nicht mehr zu rathen und zu helfen wussten, in einer Stunde zwei- oder dreimal in ein und dasselbe Haus. 197 Die Noth steckte ihnen
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/462&oldid=- (Version vom 1.8.2018)