Seite:Jugendleben und Wanderbilder II 241.png

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Die junge Frau hatte die Gelassenheit und das Gesicht eines Engels; still setzte sie sich hin und säugte ihr Kind; ohne Klagen sprach sie von ihrem Schicksale und voll Vertrauen auf Gott mit einer so anspruchslosen Art, es ging mir durchs Herz. Ich fiel ihr um den Hals und küßte sie so herzlich, wie ich nie eine Frau geküßt habe; ich hätte ihr die Hand küssen mögen, sie flößte mir so viel Ehrfurcht ein. »Sehen Sie,« sagte sie, »ist das denn nicht schön, daß eine so gute Frau Theil an meinem Schicksale nimmt, und muß mich das nicht trösten?« Ich habe mich nachher nach den Leuten erkundigt, sie haben doch nicht Alles verloren; Gold und Silber hat man nicht gefunden; Mutter und Kind sind gesund geblieben; der Mann heißt Facius[1], ist ein sehr geschickter Steinschneider, und hat für die ganze Gegend weit und breit zu thun, er wird sich also bald wieder aufhelfen. Nun war unser Zimmer ganz voll; diese Leute, die alte Madame Jagemann mit ihrer Tochter von gestern Abend, dazu die Forstmeisterin Wilhelmi, die aus der Gegend von Erfurt sich hierher geflüchtet und bei Riedel’s logirt hatte.


  1. Das damals geborne Kind ist die jetzt als Künstlerin rühmlich bekannte Angelica Bellona Facius.
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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder. Band 2. Georg Westermann, Braunschweig 1839, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jugendleben_und_Wanderbilder_II_241.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)